Mission auf Leben und Tod
französischen Aristokratie gewesen war, eine flache, feuchte, düstere Heidelandschaft. Jahrhundertelang hatten hier die französischen Könige Wildschweine und Rotwild gejagt. Die Gegend ist von Sümpfen, Seen und Feuchtgebieten durchzogen, es finden sich hier aber auch einige der schönsten Loire-Schlösser, darunter das mächtige Château Chambord, das größte und herrschaftlichste von allen. Der riesige Palast umfasst 440 Zimmer und 85 Treppen und wurde ab 1519 von König François I. errichtet, der damit den Papst ausstechen wollte. Der französische König wollte mit dem Schloss als einer »der größten Bauherren« in die Geschichte eingehen, am Ende seiner Tage bezeichnete er den Prachtbau allerdings nur noch als seine »kleine Jagdhütte«.
Henri Foche, dessen politische Ambitionen als Führer der Nation denen des einstigen Königs in nichts nachstanden, fuhr auf der A71, einige Kilometer östlich von Chambord, an der Spitze seines Konvois an dem Architekturmonument aus dem 16. Jahrhundert vorbei. Nach weiteren 30 Kilometern bogen sie von der Autobahn ab und durchquerten eine öde, flache und sehr feuchte Landschaft. Noch immer regnete es ununterbrochen; die Lkw-Scheinwerfer waren das einzige Licht weit und breit. Schließlich bogen sie erneut ab, der Weg führte durch einen kleinen Wald. Als sie am anderen Ende herauskamen, lag vor ihnen eine eineinhalb Kilometer lange asphaltierte, von kleinen hellen Positionslichtern gesäumte Rollbahn. Die Lichter wurden erst angeschaltet, als Foches vier Lkws aus dem Wald dröhnten.
Vor ihnen erhob sich ein kleines Betongebäude, das von einem einzigen Licht erhellt wurde. Davor stand ein Einweiser mit zwei beleuchteten Kellen, der sie an den richtigen Platz lotste. Links von ihnen war ein vierstrahliges Transportflugzeug auszumachen, eine Iljuschin Il-76, das Arbeitspferd der russischen Luftwaffe. Die Maschine gehörte zwar dem Iran, gebaut worden aber war sie in den riesigen Flugzeugwerken von Khimki nordwestlich von Moskau. Die Iljuschin war im Grunde ein Militärtransporter, für extraschwere Fracht ausgelegt, die durch die Rampe unter dem charakteristischen T-Leitwerk geladen wurde. Die Entwickler, die Taschkent-Flugzeugwerke in Usbekistan, hatten dem Schulterdecker eine Flügelspannweite von mehr als 50 Metern verliehen, die vier russischen Triebwerke verfügten über mehr Leistung als die amerikanische Lockheed C-141 Starlifter.
Die Iljuschin war insbesondere für kurze und unbefestigte Start- und Landebahnen konstruiert. Der Luftdruck der insgesamt 20 Räder konnte in der Luft an die jeweiligen Bodenverhältnisse angepasst werden. An diesem Abend hatte die Iljuschin erst zur Landung angesetzt, als der Konvoi drei Kilometer vom Flughafen entfernt war. Und die Lotsen am Flughafen Tours wunderten sich, wohin zum Teufel der große russische Transporter verschwunden war. Nur halbherzig bemühten sie sich, ihn zu lokalisieren, schließlich war es fast zwei Uhr morgens, und bislang lagen keine Notfallsignale vor. Sie beschlossen, weiterhin nach ihm Ausschau zu halten, vorerst aber so zu tun, als wäre die Maschine gar nicht gesichtet worden.
Das Beladen verlief unterdessen mittels der Hebebühnen und Kräne im Rumpf des voluminösen Flugzeuges zügig. Die Besatzung bestand aus Iranern. Henri Foche schritt wie ein in einen Käfig gesperrter Schakal auf und ab; sie hatten nicht viel Zeit.
Nachdem die Raketen verladen waren, beglich Henri Foche die Flugplatz-Rechnung und sah zu, wie der russische Transporter ans Ende der Startbahn rollte. Die Raketen wogen an die 18 Tonnen, gerade mal die Hälfte der Nutzlast, sodass die Maschine so schnell wieder verschwinden würde, wie sie gekommen war. Im Regen beobachteten Foche und Yves Vincent, wie sie steil von der regennassen Rollbahn abhob, um auf ihre Reisegeschwindigkeit von 750 km/h zu beschleunigen. Unmittelbar danach erloschen die Lichter entlang der Rollbahn. Die beiden Franzosen sahen sich an und gaben sich spontan die Hand, bevor sie in ihren Mercedes stiegen, damit Marcel sie nach Hause brachte. In dieser Nacht war ausgezeichnete Arbeit geleistet worden.
Im Tower am Flughafen Tours erfasste man erneut die Radarsignale der russischen Transportmaschine. Ihr Kurs aber lag jetzt in Richtung Osten, auf die Schweizer Alpen zu. Sie schickten eine kurze Meldung zum Flughafen in Dijon, dass sich die Maschine nicht zu erkennen gegeben hätte, aber keine militärischen Radarsignale aussende und sowieso in die Schweiz
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