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Mission Clockwork

Mission Clockwork

Titel: Mission Clockwork Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Slade
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Seine kurzen, krummen Beine eigneten sich überraschend gut für die steil abfallenden Dächer und ständig wechselnden Winkel. Er machte einen Satz, der Beutel über seiner Schulter schwang dabei hin und her, und landete neben dem Dachfirst des Nachbarhauses, wo er sich an einem Blitzableiter festhielt, um das Gleichgewicht wiederzufinden. Eine verschreckte Taube flog in den Nebel auf.
    Die Zielperson ging eine Gasse entlang. Oben auf den Dächern eilte Modo lautlos neben ihr her. Er musste ein Lachen unterdrücken: Der junge Gentleman hatte keine Ahnung, dass er verfolgt wurde.
    Seit er von Mr Socrates mitten in London abgesetzt worden war, hatte Modo gelernt, die Dächer zu seinem Vorteil zu nutzen. In den ersten angstvollen Minuten, nachdem die Kutsche davongefahren war, hetzte er durch irgendwelche Straßen, huschte durch Menschenmengen hindurch und kletterte schließlich aus Angst vor einem griesgrämigen Betrunkenen und seinem bösartigen Hund auf ein Dach, wo er sich in einer Nische zusammenkauerte. Von dort aus beobachtete er, wie der Tag anbrach. Und als es wieder Nacht wurde, kroch er über die Dachschindeln, trank abgestandenes Wasser aus einer Dachrinne und stahl aus einem geöffneten Fenster eine Schweinefleischpastete.
    Am dritten Tag hatte er genug Mut gesammelt, um auf die Straße zurückzukehren. Sein Gesicht verwandelte er dafür in das eines attraktiven jungen Mannes. Er half mit, ein Fuhrwerk, das tief im fauligen Morast stecken geblieben war, herauszuziehen, und erhielt einen Penny für seine Mühe. Bald fand er andere Gelegenheitsarbeiten, bei denen außergewöhnliche Körperkraft gefragt war. Zunächst schlief er nachts im Hyde Park und, als er von der Polizei verscheucht wurde, in einem Stall voller Mist. Er hortete sein Geld, bis er sich zumindest ein verlaustes Zimmer und eine warme Mahlzeit leisten konnte.
    In den Nächten beobachtete er von den Dächern aus die Londoner: Straßenjungen, die mit verstohlenen Bewegungen den Gentlemen auf dem Weg zur Oper die Brieftaschen klauten. Frauen mit unmöglichen Hüten und hübschen Gesichtern beim Tee. Polizisten auf Streife mit dem Schlagstock in der Hand. Raufbolde, die in der Nähe der Pubs herumkrakeelten. Hoch über den Straßen war er sicher und bekam sehr viel mehr vom Stadtleben mit als sonst jemand in London.
    Einmal beobachtete er eine einfache Familie auf dem Weg zur Kirche. Ihre schäbigen Kleider und Schuhe und ihre müden Augen ließen ihn darüber nachdenken, ob es vielleicht sein Glück war, auf Ravenscroft aufgewachsen zu sein. Hat mich Mr Socrates vor einem solchen Leben in Armut gerettet?, fragte er sich. Doch da legte der Vater seinem Sohn eine Hand auf die Schulter und Modo bekam einen Kloß im Hals.
    Ein Hund war der Auslöser für seine derzeitige Tätigkeit als Detektiv gewesen. Von einem Dach aus hatte er einen gepflegten weißen Hund mit verziertem Halsband entdeckt. Er war über eine niedrige Mauer gesprungen und saß dann in einer Sackgasse in der Falle. Modo hörte den Hundebesitzer nach ihm rufen. Er kletterte in die Gasse und stellte zu seinem Glück fest, dass der Hund freundlich war. Noch heute musste er lächeln, wenn er daran dachte, wie der Hund ihm die Hand abgeleckt hatte. Modo brachte ihn zu seinem Herrn zurück und erhielt dafür drei Pence.
    Das brachte ihn auf die Idee, in der Times kleine Anzeigen zu schalten: Unter dem Namen Wellington warb er mit »Verlorenes gefunden«. Er glaubte, der Name würde bei den Leuten Vertrauen wecken: Schließlich war der Duke of Wellington ein Kriegsheld. Bald schon gingen zahlreiche Aufträge ein, von Leuten, die Hilfe bei der Suche nach den unterschiedlichsten Dingen benötigten – ob ganz Alltägliches wie Brieftaschen oder Spazierstöcke oder Absonderliches wie eine viel gerühmte Violine oder ein Holzbein. Schon nach wenigen Wochen konnte er ein Zimmer mit Kohleofen im obersten Stock des Red Boar anmieten, von wo aus er mühelos Zugang zu den Dächern hatte.
    Nahezu jede Nacht hatte er in den vergangenen sechs Monaten auf den Dächern verbracht. Sie waren sein Territorium und der einzige Ort, wo er sich frei fühlte. Er hatte sich jede Gaube, jede Dachneigung eingeprägt. Von seinem Zimmer aus gelangte er schneller zum Trafalgar Square als irgendeine Droschke. Und es war so einfach, weil die Londoner nie nach oben sahen. Sie hatten die

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