Mission Erfolg - Meine Vision mein Plan mein Weg
lethargisch wirken: Demotivation, Übertraining, teaminterne Probleme usw. Nur wenn ich durch Kommunikation mit den Spielern ein Gefühl für die Situation bekomme, kann ich adäquat reagieren und die richtigen Entscheidungen treffen.
Natürlich kann man als Trainer nicht alle Spieler gleich behandeln – man ist ja kein emotionsloser Automat. Ich war aber damals auf dem besten Weg, Henning bevorzugt zu behandeln, und das war alles andere als eine gute Idee. Der nächste Fehler folgte zwangsläufig, indem ich das Nähe-Distanz-Verhältnis zwischen mir und dem Spieler veränderte, was wiederum zu Spannungen führte. Aber damals fehlte mir als jungem Trainer, der mit jungen Spielern arbeitete, noch das Gespür für diese zwischenmenschlichen Feinheiten. Auf der Basis dieser Erfahrungen konnte ich aber zwei weitere Leitsätze definieren, die ich zu Beginn des Buches bereits gestreift habe: Respekt ist wichtiger als Beliebtheit. Und: Sei nie zu nahe an deinen Spielern.
Und noch etwas habe ich damals falsch eingeordnet. Als wir in der Hauptrunde uneinholbar vorne lagen, mussten wir drei Spieltage vor dem Saisonende nach Berlin, um gegen den damals Zweitplatzierten der Liga, Alba, zu spielen. Weil meine Jungs müde und kaputt waren, entschied ich, Henning Harnisch, Michael Koch, Christian Welp und unsere zwei Amerikaner zu schonen. Ich strich sie aus dem Kader und fuhr mit einer absoluten Nottruppe, weitestgehend bestehend aus Jugendspielern, zum Topspiel nach Berlin. Natürlich war es theoretisch sinnvoll, den Stars vor den bevorstehenden Play-offs eine Auszeit zu gönnen. Trotzdem war diese Entscheidung falsch, weil sie Alba, seinen Fans und dem Spiel gegenüber respektlos war – sorry, Alba. Ich unterschätzte außerdem die unbewusste Wirkung, die diese Entscheidung zeitigte. In Berlin bekamen wir den Stempel der arroganten Hunde aufgedrückt, die nicht einmal den Ligazweiten ernst nahmen. Ich sorgte also für einen eklatanten Imageverlust für Bayer Leverkusen, weil ich das Topspiel zwischen dem Ersten und Zweiten durch meine Mannschaftsaufstellung massiv abwertete. Und außerdem bewirkte meine Entscheidung zugleich, dass Berlin im späteren Finale doppelt und dreifach motiviert war. »Die haben uns vor ein paar Wochen nicht ernst genommen. Dafür lassen wir Leverkusen jetzt bluten und zeigen ihnen, dass wir besser sind und selbst ihre Topleute vernichten können« – so ging Alba ins Finale gegen uns. Mit meiner Fehlentscheidung hatte ich bei Berlin unbewusst den Turbo gezündet und sie noch heißer gegen uns gemacht. Absolut unnötig, selbst wenn wir am Ende gewannen und trotzdem Meister wurden.
Mit jedem weiteren Titel wurden wir mehr zum Feindbild aller. Das oberste Ziel hieß nur noch, diese verdammten Leverkusener vom Thron zu stoßen. Und je mehr sich der Rest der Liga gegen uns verbündete, desto mehr entwickelten wir eine sogenannte Wagenburg-Mentalität. Wir waren wie die nordamerikanischen Siedler, die ihre Kutschen und Wagen zur Verteidigung gegen die Überzahl von Indianern kreisförmig aneinanderstellten und so bis zum bitteren Ende ums Überleben kämpften. Je mehr Indianer gegen uns antraten, desto enger rückten wir zusammen. Jeder wollte uns abballern. Nur durch eine unglaubliche Solidarität konnten wir überleben. Unser Motto lautete: »Wir gegen den Rest der Welt.«
So ging es letztlich bis 1996, als wir den siebten Meistertitel in Folge holten. Das war der für mich wohl deshalb wichtigste Titel, weil spürbar wurde, dass ein Zyklus mit Leverkusen zu Ende ging. Bei der Meisterfeier holte ich meinen Vater auf die Bühne und reichte ihm das Meisterschild. 1994 war er an Prostatakrebs erkrankt und kämpfte seitdem tapfer dagegen an. Ihm widmete ich den Titel. Er war bei allen Spielen in Leverkusen dabei, hatte wie auch meine Mutter eine Dauerkarte. Doch weil sie während der Spiele zu aufgeregt war, hielt sie sich die meiste Zeit in den Katakomben der Halle auf. Als mein Vater dann 1997 starb und meine Mutter auch nicht mehr zu den Spielen kommen wollte, verkaufte Bayer die beiden Plätze nicht weiter. Sie blieben leer – eine große Geste, die mir viel bedeutete.
In dem Jahr, als mein Vater so schwer erkrankte, bekam ich ein unglaublich gutes Angebot eines anderen Vereins. Paok Thessaloniki wollte mich haben und bot mir sehr, sehr viel Geld, bestimmt das Vierfache dessen, was ich in Leverkusen bekam. Weil ich zu Beginn meiner Karriere noch keinen Agenten hatte, war ich wahrscheinlich der
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