Mission Munroe 03 - Die Geisel
auch ein Telefon. Ruf mich an, sobald du es hast.« Sie verstand, was er nicht ausgesprochen hatte: Ruf mich an, damit wir ungehindert sprechen können.
»Versprochen.«
»Ich liebe dich«, sagte er.
»Für immer«, flüsterte sie.
Sie schob den Hörer unter der Scheibe hindurch und blieb noch eine Weile sitzen, dachte immer wieder daran, wie viele Anstrengungen sie all die Jahre unternommen hatte, um Alexis zu schützen. Und jetzt war doch alles umsonst gewesen. Die Menschen, die sie dicht an sich herangelassen hatte, waren an den Fingern einer Hand abzuzählen: Logan, Bradford, Kate Breeden und ein paar Männer – längst vergessen –, die sie während der Zeit, als sie bei ihrer Schwester Tabitha gelebt hatte und sich unter größter Mühe auf das US -amerikanische Vorstadtleben einstellen musste, ins Haus mitgeschleppt hatte, nur um der Schockwirkung willen.
Ihre ersten Jahre in den Vereinigten Staaten waren ziemlich wild gewesen.
Ihre Eltern, ein Missionarsehepaar, hatten innerlich mit der Kindererziehungsphase bereits abgeschlossen, als sie zur Welt gekommen war, eine Nachzüglerin und alles andere als ein Wunschkind. Sie war sechs gewesen, als ihr jüngstes Geschwister, den sie auch eher als Vater denn als Bruder wahrgenommen hatte, nach seinem achtzehnten Geburtstag Afrika den Rücken gekehrt hatte und nach Hause gefahren war. Dann gab es da noch zwei ältere Schwestern, die schon in Dallas geblieben waren, als ihre Eltern sich entschlossen hatten, nach Kamerun zu gehen. Aber bis zu dem Tag, als Munroe unangekündigt vor Tabithas Tür in den Vereinigten Staaten aufgetaucht war, bestanden die familiären Beziehungen lediglich aus sporadischen Fotos und gelegentlichen Briefen, und auch das nur, bis sie mit vierzehn das Elternhaus für immer verlassen hatte.
Genau genommen war Munroe nicht das schwarze Schaf der Familie, sondern viel eher ein Kind, das gar nicht existierte und das jeden Versuch aufgegeben hatte, eine Bindung zu Schwestern, die es nie gesehen, und zu einem Bruder, der es verlassen hatte, aufzubauen. Das auch jeden Versuch aufgegeben hatte, um die Anerkennung der Eltern zu kämpfen. Stattdessen hatte sie sich in Kamerun ihre eigene Nische geschaffen, bis sie dann mit siebzehn vor der Gewalt in ein Land geflüchtet war, in dem sie nichts weiter gehabt hatte als einen Reisepass und fremde Menschen, die ihre Angehörigen waren.
Sie war bei Tabitha eingezogen, die alt genug war, um ihre Mutter zu sein. Tabitha nahm sie bei sich auf, weil sie war, wer sie war, und lehnte sie gleichzeitig ab, weil sie so vieles nicht war. Aber ihre älteste Tochter Alexis war für Munroe am ehesten die Schwester gewesen, die sie nie gehabt hatte. Und ausgerechnet sie war jetzt dem Puppenmacher in die Hände gefallen.
Munroe erhob sich. Wie bei Logan würde sie auch jetzt nicht das tun, was sie wollte, sondern das, was getan werden musste. Sie würde sich nicht um Bradfords E -Mail kümmern, schließlich kannte sie den Weg, und ob sie hier im Konsulat nun Internet hatte oder nicht, sie würde in Italien sowieso eine Möglichkeit suchen müssen, um die letzten Details zu erfahren.
Wenn Neeva allein gewesen wäre, hätte Munroe sich von ihr verabschiedet, aber unter den gegebenen Umständen verzichtete sie lieber auf die zusätzliche Aufmerksamkeit, die ihr das eingebracht hätte. Sie nahm sich in der Sicherheitsschleuse den Rucksack mit den Landkarten, dem Klebeband, dem Navigationsgerät, den Einzelteilen von Arbens Handy und all den anderen Dingen, die sie hineingeworfen hatte, bevor sie den Opel zurückgelassen hatten.
Dann ging sie durch den Metalldetektor – der einzige Ausgang, den das Konsulat zu bieten hatte. Aber noch bevor sie das Foyer erreicht hatte, ging die Seitentür auf, und Neeva stand vor ihr.
Sie folgte ihr bis zum Fahrstuhl. »Du gehst?«, sagte sie.
»Ja«, gab Munroe zurück, ließ den Fahrstuhl links liegen und steuerte das Treppenhaus an.
Neeva kam mit. »Ich muss mit dir reden«, sagte sie.
»Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, Neeva.«
Munroe ging die Treppe hinunter, doch das Mädchen folgte ihr. »Es ist wichtig.«
Auf dem Treppenabsatz im zweiten Stock blieb Munroe stehen. Drehte sich um, sodass sie Neeva, die noch auf der Treppe war, direkt in die Augen sehen konnte. »Geh zurück«, sagte sie. »Ich melde mich per E -Mail. Wir können uns später noch unterhalten.«
Neeva stellte sich neben Munroe. »Ich möchte mitkommen.«
Munroe verharrte mitten in der
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