Mission Munroe 03 - Die Geisel
zog die Pistole aus ihrem Hosenbund und tauschte die Magazine aus. »Das ist eine lange Geschichte«, sagte sie. Dann packte sie den Inhalt des Beutels wieder hinein und legte alles, was auf dem Bett gelegen hatte, auf den Fußboden.
Das Bett war breit und sah überaus einladend aus, und seine Nähe und die Dunkelheit verstärkten ihre Schwere, verstärkten das Bedürfnis nach Schlaf. Sie zog das Laken zurück, schob die Matratze herunter und stellte sie hochkant an die Wand neben der Badezimmertür. »Du musst mir helfen, den Schreibtisch zu verschieben«, sagte sie.
Munroe berechnete Schussbahnen und Strategien, gestikulierte und zeigte mit den Fingern, sodass Neeva verstand, was sie meinte. Dann verschoben sie die Möbel. »Meinst du, dass sie hierherkommen?«, fragte Neeva.
»Sie haben gar keine andere Wahl«, erwiderte Munroe. »Bei jedem Richtungswechsel haben wir auch einen Peilsender zurückgelassen. Sie wissen, dass wir wissen, dass sie uns folgen, und deshalb rechnen sie damit, dass wir weiterhin in Bewegung bleiben. Sie wissen also nicht, ob wir sie jetzt in eine Falle locken wollen, indem wir so tun, als würden wir uns irgendwo verkriechen, oder ob wir in Wirklichkeit die restlichen Peilsender weggeworfen und uns getrennt haben. Sie müssen herkommen und es rausfinden.«
»Dann willst du also, dass sie kommen?«
»Ja.«
»Und wenn es so weit ist?«
Munroe überhörte ihre Frage, holte das zusammengeknüllte Puppenkostüm und Neevas übrige Klamotten aus der Tasche, schüttelte sie aus und breitete sie auf dem Bettrahmen aus. »Was machst du denn da?«, fragte Neeva.
»Ich will sie ein bisschen ärgern.«
Dann ließ sie die Finger über die Falten und Nähte gleiten. Sie wusste, dass sie das kleine elektronische Gerät irgendwann finden würde, und als es so weit war, verzog sie das Gesicht zu einer Grimasse. Mit den Zähnen riss sie die Naht auf, die den kleinen Plastikstreifen in dem Kostüm festhielt. Dann reichte sie ihn Neeva. »Das da sendet ein Signal, mit dem sie dich orten können.«
Neeva gab ihr das Ding zurück, und Munroe spülte es die Toilette hinunter.
Jetzt mussten sie nur noch warten. Es konnte dreißig Minuten dauern oder dreißig Stunden. Der nächste Zug musste von Lumani kommen. Dadurch hatte er den Vorteil auf seiner Seite. Das war etwas, was ihr überhaupt nicht gefiel. Sie war eine Jägerin, keine, die sich versteckte. Sie war das Raubtier und nicht die Beute. Eigentlich hätte sie diejenige sein müssen, die Spuren nachging, entdeckte, die Informationen sammelte und das Geschehen kontrollierte.
Und nicht das hier.
Aber das hier war alles, was sie hatte.
Sie schraubte die Glühbirnen in dem fensterlosen Badezimmer heraus, alle bis auf eine, die jetzt als einzige Lichtquelle diente. Sie ließ die Tür lieber offen stehen, damit sie es mitbekam, falls der Angriff früher als geplant erfolgte. Als sie das Hemd und das T -Shirt abstreifte, die sie von dem Puppenmacher bekommen hatte, starrte Neeva sie an, im offenen Widerspruch zu allen Regeln der Höflichkeit und des guten Benehmens. Irgendwann drehte sie sich schließlich doch noch um.
Munroe zog die Bandage, die um ihre Brust gewickelt war, unter dem eng sitzenden Sport- BH hervor. Sie ballte das Elastikgewebe zusammen und warf es in den Müll. Anschließend stellte sie sich an das Waschbecken, ließ das kalte Wasser laufen und wusch sich den Oberkörper und die Arme, das Gesicht, den Hals und die Haare.
Sie sehnte sich nach einer Dusche. Konnte aber nicht riskieren, von ihren Jägern genau dann überrascht zu werden, wenn sie unter dem prasselnden Wasser stand. Selbst das, was sie jetzt machte, war riskant.
Mit einem Handtuch um die Schultern kam Munroe aus dem Badezimmer. Neeva starrte sie mit offenem Mund an. Munroe brauchte ihren Blicken nicht zu folgen, um zu wissen, weshalb sie so reagierte. Die Narben sahen schlimm aus, und sie hatte eine Menge davon. Die Fragen waren jedes Mal unausweichlich, aber Munroe gab nur selten eine Antwort darauf, die der Wahrheit entsprach.
»Falls du noch ins Bad musst, wäre jetzt die Gelegenheit günstig«, sagte Munroe. »Ich habe keine Ahnung, wie lange es noch dauert. Und wenn du Hunger hast, dann iss am besten noch was.«
Neeva nickte – schweigen statt Gespräch, ausweichen, statt Fragen zu stellen – und durchwühlte die Einkaufstüten, suchte sich ein paar Sachen heraus. Auf dem Weg vom Bett bis zur Badezimmertür blieben ihre nach wie vor gleichermaßen entsetzten
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