Mission Munroe 03 - Die Geisel
Ermunterung mehr, und sie machten weiter, bis Munroe draußen im Flur Schritte hörte. Sie richtete sich auf und schlich zur Tür, die Hand an der Waffe. Dann wartete sie auf das Klopfen, und als das vereinbarte Zeichen erklang, ließ sie Neeva herein.
Diese ließ einen Arm voll Einkäufe auf das Bett plumpsen, warf einen Blick in Lumanis Richtung und sagte: »Hat er uns was verraten, was uns weiterhilft?«
»Einiges«, meinte Munroe und fischte die kleine Schachtel Paracetamol aus dem Haufen. Dann eine Wasserflasche. Sie drückte vier Tabletten aus der Packung und schluckte sie, dann noch einmal vier, die sie Lumani anbot. Er machte unaufgefordert den Mund auf. Sie gab ihm die Tabletten und ein paar Schlucke Wasser, dann fütterte sie ihn mit Crackern, bis die Packung leer war.
Anschließend sagte sie zu Neeva: »Ich geh mal ein paar Minuten raus. Wenn du noch etwas zu erledigen hast, bevor wir gehen, dann mach es jetzt.« Sie nickte in Lumanis Richtung. »Du kannst mit ihm reden oder ihn ignorieren, ganz egal, aber komm nicht in seine Nähe, okay? Und falls es dich in den Fingern juckt und du ihn umbringen willst, lass es lieber sein, weil ich sonst nämlich abhauen würde. Dann könntest du dich allein mit der Polizei rumschlagen.«
Neeva verdrehte die Augen. »Ich werd ihn schon nicht umbringen«, sagte sie.
Munroe trat hinaus auf den Flur, zog die Tür hinter sich ins Schloss. Schlenderte an geschlossenen Zimmertüren und versenkten Deckenleuchten vorbei zum Ende des Korridors, wo sie sich mit dem Rücken zur Wand zu Boden sinken ließ, die Beine ausgestreckt, den Blick zur Decke gerichtet.
Entgiftung.
Stille.
Einsamkeit.
Ein Versuch zu überleben, die Qualen des Lebens und die Stimmen in ihrem Kopf, die im Moment zwar unhörbar waren, die sie aber seit Noahs Tod nicht wieder losgeworden war, hinter sich zu lassen. Sie ließen sich nicht ewig ausblenden. Irgendwann würde die Dunkelheit von Munroe Besitz ergreifen. Leise Andeutungen spürte sie bereits jetzt, wo sie wenigstens für einen kurzen Augenblick zu Atem gekommen war.
Logan war in Sicherheit, würde aber nie wieder derselbe sein.
Samantha lebte … im Moment wenigstens.
Noah war tot.
Jack war tot.
Alexis musste womöglich auch noch sterben oder wurde auf dem Sklavenmarkt verkauft.
Und die Beziehung zu Bradford, die es ihr irgendwie ermöglicht hatte, trotz der Unvereinbarkeit ihrer Jobs und trotz ihres Höllenlebens einen gewissen Frieden zu finden, war nach jedem menschlichen Ermessen beendet. Was weder ihre noch seine Schuld war, aber dennoch konnten sie unmöglich so weitermachen wie vorher.
Dies alles zu akzeptieren brachte einen solch unaussprechlichen Schmerz mit sich, dass die Zwänge in Munroes Innerem sie zum allerersten Mal nicht dazu drängten zu kämpfen, sondern aufzustehen und wegzugehen, aus purem Selbstschutz immer weiterzugehen, so lange, bis sie wirklich allein war und die Menschheit mit all ihren Übeln nicht mehr länger existierte. In der Stille und Ruhe des leeren Hotelflurs, wo Munroe nicht länger fähig war, ihre Gefühle auszuschalten oder wegzuschließen, gab sie den Schmerz, dieses beißende Ziehen, das sie innerlich auffraß, frei.
Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie dasaß, atmete, fühlte, sich gestattete, einfach nur zu sein, während Hotelgäste kamen und gingen. Nur gelegentlich stutzte einer bei ihrem Anblick. Als schließlich der Moment gekommen war, in dem sie sich stark genug fühlte, um sich wieder aufzuraffen, um mit dem, was sie angefangen hatte, fortzufahren, holte sie das Telefon aus der Jackentasche und wählte Bradfords Nummer.
Als Munroe das Zimmer betrat, hob Lumani den Kopf. Neeva lag auf dem Bett und sah fern.
»Gibt es irgendwas über uns?«, fragte Munroe.
»Jede Menge über mich, aber von dir war bis jetzt noch nicht die Rede«, erwiderte Neeva. »Du warst aber lange weg. Wo hast du denn gesteckt?«
Munroe warf ihr das Handy zu. »Ruf deine Eltern an, bitte. Du kannst auch rausgehen, wenn du ungestört sein willst, aber dann bleib bitte direkt vor der Tür, ja?«
Neeva starrte das Handy an, schnappte sich die Schlüsselkarte vom Nachttischchen und rutschte vom Bett herunter. Ging zur Tür hinaus. Von Lumani beobachtet zog Munroe sich die Hose aus und untersuchte die tiefste Wunde an ihrem Bein. Sie war zwar stark gerötet, zeigte aber kaum Anzeichen einer Infektion. Sie musste sie unbedingt vernünftig säubern und nähen lassen, aber erst wenn dieser Alptraum hier zu Ende war.
Weitere Kostenlose Bücher