Mission Munroe. Die Sekte
für euch möglicherweise schon … oder für eure Freunde. Streng analytisch und absolut vorurteilsfrei betrachtet muss man sagen, dass die ERWÄHLTEN einen erheblichen Aufwand betrieben haben, um Hannah versteckt zu halten. Aber jetzt haben sie euch aus heiterem Himmel einen Tipp gegeben und benutzen Hannah als Köder. Sie rechnen damit, dass jemand nach ihr sucht, und dann wollen sie sich mit absolut weißer Weste präsentieren. Gibt es zurzeit irgendwelche Dinge, die ein schlechtes Licht auf die ERWÄHLTEN werfen? Sorgerechtsstreitigkeiten? Negative Fernsehberichte? Irgendetwas in der Art?«
»Schon möglich«, erwiderte Heidi. »Es ist nichts Konkretes, aber nach allem, was ich zuletzt gehört habe, will der PROPHET versuchen, eine breitere Akzeptanz und ein besseres Image für die ERWÄHLTEN zu erreichen. Die Negativschlagzeilen sollen aus der Welt geschafft werden, damit sie sich ausschließlich als eine Kirche unter vielen darstellen können. Aber Leute wie Charity lassen sich nicht so einfach mundtot machen. Solange sie in den Medien präsent sind, wird immer wieder ein schlechtes Licht auf die ERWÄHLTEN fallen. Es könnte schon sein, dass der PROPHET und die örtlichen Führer sich von einer aufsehenerregenden Aktion etwas versprechen, irgendetwas, was die Medien nicht ignorieren können. Vielleicht eine Razzia, die dann als Beweis dafür dient, dass es sich bei den Abtrünnigen nur um einen Haufen Durchgeknallter handelt. Dass wir Lügner sind, die maßlos übertreiben und denen man kein Wort glauben kann. Damit würden sie ziemlich dramatisch unter Beweis stellen, dass sie zu Unrecht verfolgt und verleumdet werden.«
»Na bitte, da hast du dein Motiv«, sagte Munroe.
»Aber warum haben sie uns dann nicht einfach nach Jakarta oder Mumbai oder von mir aus auch nach Asunción gelockt, auf eine völlig falsche Fährte. Warum haben sie uns an den Ort gelotst, wo sie tatsächlich ist?«
Munroe zuckte mit den Schultern. »Vielleicht haben sie ja gedacht, dass ihr mehr wisst, als ihr tatsächlich gewusst habt, und wollten nicht riskieren, dass ihr den Bluff durchschaut. Und außerdem, nach allem, was ich gelesen habe, ist der PROPHET ein narzisstischer Irrer. Müssen seine Entscheidungen überhaupt einen Sinn ergeben?«
Munroe erhob sich, und Bradford folgte ihrem Beispiel. Sie ließ ein Bündel Pesos auf den Tisch fallen.
Heidi sagte: »Warte mal, mehr willst du dazu nicht sagen?«
»Das ist nicht mein Kampf«, erwiderte Munroe. »Ich muss Hannah suchen.«
Kapitel 30
Munroe und Bradford verließen die Kneipe, dicht gefolgt von Logan. Er rief Munroe nach, wollte, dass sie auf ihn wartete. An der nächsten Ecke blieb sie stehen. Außer Atem und sehr aufgeregt kam er an und legte los, ohne sich mit Höflichkeitsfloskeln aufzuhalten.
»Wo haben sie sie hingebracht?«, fragte er.
»Ich weiß es nicht«, entgegnete Munroe. »Als ich gemerkt habe, dass sie nicht mehr da war, habe ich euch sofort angerufen. Für weitere Nachforschungen war bis jetzt noch keine Zeit. Aber ich weiß, bei wem sie ist, und das heißt, dass ich sie finden werde.«
»Ich will die Wahrheit wissen«, sagte er. »Keine Ausflüchte, keine Rücksichtnahme auf meine Gefühle, keine schützenden Halbwahrheiten. Wie schlimm sieht es aus?«
Munroe pustete sich ein paar eingebildete Strähnen aus dem Gesicht, überlegte, ob sie noch einmal in die Kneipe zurückkehren, sich mit ihm zusammensetzen und ihm die Situation in aller Ruhe darlegen sollte. Aber wozu? Das wenige, was sie wusste, reichte höchstens, um ihm noch mehr Angst einzujagen.
»Wir stehen wieder am Anfang«, sagte sie. »Vielleicht nicht gerade am Punkt null, aber auch nicht mehr als drei, vier Schritte weiter. Immerhin habe ich einen konkreten Ansatzpunkt. Ohne auf deine Gefühle Rücksicht zu nehmen: Wir haben es mit einem völlig neuen Gegner zu tun.
Einem Gegner mit scharfen Zähnen. Die ERWÄHLTEN haben sich da ein paar seltsame Gestalten als Unterstützer ins Nest geholt.«
Logan wollte etwas sagen, doch dann hielt er inne, als hätte er den Ernst der Lage soeben in vollem Umfang begriffen. »Was sind das für Leute? Militärs? Polizei? Das wäre nicht das erste Mal.«
»Organisiertes Verbrechen.«
Er presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und gab jede vorgespielte Ruhe auf. »Ich könnte dir ein zusätzliches Paar Hände zur Verfügung stellen«, sagte er. »Ein Paar Augen, ein Paar Beine mehr. Ich könnte dir helfen.«
»Nein«, entgegnete Munroe.
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