Mission Munroe. Die Sekte
Sie verschränkte die Arme. An diesem Punkt gab es keine Diskussion, keine Argumente, keine Debatten. Ein einfaches Nein musste genügen.
»Michael, bitte«, sagte er. »Ich bringe ja nicht nur ein starkes persönliches Interesse mit. Wir haben so was schließlich schon ein Dutzend Mal gemeinsam durchgezogen. Ich kann dir wirklich helfen, und das weißt du auch … schließlich mache ich so was nicht zum ersten Mal.«
Sie legte ihm die Hände auf die Schultern und hielt ihn auf Armeslänge fest. So standen sie sich Auge in Auge gegenüber. »Du wärst mir auf jeden Fall eine Hilfe«, sagte sie. »Keine Frage. Kein Zweifel. Und unter sämtlichen anderen denkbaren Umständen würden wir diese Geschichte gemeinsam angehen. Aber dieses Mal nicht. Ich kann nicht. Es ist zu persönlich, für dich genauso wie für mich.« Sie unterbrach sich und suchte nach Worten, um den stechenden Schmerz zu erklären, der sie jedes Mal im Schlaf überfiel.
»Ich brauche dich lebend«, sagte sie. »Ich will dich auf
keinen Fall verlieren, aber was noch schwerer wiegt, Logan: Ich kann nicht zulassen, dass dein Blut an meinen Händen klebt.«
Erneut machte sie eine kurze Pause, dann wiederholte sie beinahe flüsternd: »Ich kann nicht.«
Sie räusperte sich und fuhr deutlich lauter fort: »Wenn ich dich mit ins Boot nehme, würde ich automatisch anfangen, mich um deine Sicherheit zu sorgen. Ich wäre abgelenkt, obwohl ich mich im Augenblick voll und ganz auf eine einzige Sache zu konzentrieren habe. Deshalb musst du dich so weit wie nur möglich von diesem Projekt fernhalten, in deinem eigenen Interesse, in Hannahs Interesse und in meinem Interesse.«
Logan trat einen Schritt zurück. Er wirkte enttäuscht und resigniert. »Okay«, sagte er. Dann wandte er sich zu Bradford, richtete den ausgestreckten Zeigefinger auf dessen Brust und sagte: »Falls ihr irgendetwas zustößt, dann gilt das, was sie eben gesagt hat, nicht mehr. Ich bin die Verstärkung. Dann verständigst du mich sofort, ist das klar, verdammt noch mal?«
»Mir wird nichts zustoßen«, sagte Munroe und schob Bradford in Richtung Straße, bevor die beiden Alphatiere sich gegenseitig zerfleischen konnten.
Sie würde Hannah suchen, und sie würde Hannah finden, aber möglicherweise musste sie dabei die eine oder andere Kniescheibe zertrümmern. Die Autokennzeichen führten zu Wohnadressen, die Wohnadressen zu Menschen und wo Menschen wohnten, ließen sich Informationen besorgen, zur Not auch mit Hilfe von Gewalt. Im Idealfall würde es jedoch nicht so weit kommen. Wenn alles so lief, wie es der Notfallplan vorsah, würden die Wanzen, die überall in der
Oase verteilt waren, etwas aufschnappen, was in die richtige Richtung wies.
Aber bis jetzt waren sie vom Idealfall weit entfernt, und die Dinge waren alles andere als planmäßig gelaufen.
In ihrem Hotelzimmer angekommen ging Munroe ohne Umschweife zum Schreibtisch. Sie war ein Raubtier auf der Jagd, gierte nach Blut. Mit dem Rücken zu Bradford sagte sie: »Sieh zu, dass du ein bisschen Schlaf bekommst. Den wirst du brauchen.«
Sie benahm sich schroff und abweisend, was er nach der Fürsorge und der Emotionalität, die sie Logan gegenüber an den Tag gelegt hatte, vermutlich als verletzend empfand. Aber damit musste er klarkommen. Die liebevolleren, zarteren Momente mussten vorerst warten. Bradford würde ihr nicht widersprechen, nicht nur, weil sie recht hatte und er tatsächlich etwas Schlaf gebrauchen konnte, sondern weil er im Augenblick ohnehin nichts weiter tun konnte. Es war zwei Uhr morgens, und seine Kontaktleute lagen alle im Bett. Sie hingegen brauchte jetzt Ruhe und Zeit, um sich das Material anzuhören, das die Abhörgeräte in den letzten Tagen übertragen hatten.
Hinter ihr raschelten die Bettdecken, dann war es still. Bradford hatte sich hingelegt. Er knipste die Nachttischlampe aus. Der Computerbildschirm tauchte das Zimmer in einen bläulichen Schimmer.
Das Zeitfenster, das ihr zur Verfügung stand, war schmal, aber Munroe würde – musste – in diesen Stunden der Dunkelheit finden, was sie brauchte. Entweder das oder die Kniescheibe. Sie setzte das Headset auf und blendete den Rest der Welt aus, vollkommen konzentriert, so, wie sie es nur während eines Auftrags schaffte.
Im Lauf der letzten beiden Tage waren aus den drei Oasen
Tonaufnahmen in einer Gesamtlänge von achtundzwanzig Stunden eingegangen. Das war eine Menge Material, aber längst nicht mehr so viel wie ursprünglich.
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