Mission Munroe. Die Sekte
vielleicht schlauer gewesen, umzukehren und ihn zu nehmen, aber in der Situation war eine Rückkehr absolut ausgeschlossen gewesen.
Munroe wechselte immer wieder die Fahrspur, während ihre Gedanken Karussell fuhren. Sie versuchte, sich über die nächsten Schritte klar zu werden. Es gab noch eine ganze Reihe offener Fragen, fehlende Puzzleteile, und wie bei einem Kartenhaus musste sie sorgfältig darauf achten, dass das Gleichgewicht jederzeit gewahrt blieb. Sie brauchte dringend Klarheit, aber das Adrenalin verlangsamte ihr Denken und machte es ausgesprochen schwierig, sich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren als darauf, den Wagen sicher von A nach B zu befördern.
Sie musste dringend etwas essen, musste den Blutzuckerspiegel nach oben treiben und sehnte sich nach Schlaf. Essen ließ sich schneller und einfacher erledigen. Es musste nur noch ein klein wenig warten. Zuerst musste sie in ihr Hotel zurück und nachsehen, ob Bradford in Sicherheit war, ob er tatsächlich dem Plan gefolgt war. Sie musste sich vergewissern, nicht nur zu ihrer Beruhigung, sondern auch, um entscheiden zu können, in welche Richtung sie sich wenden sollte. So wie die Dinge jetzt standen, musste sie auf dem schnellsten Weg zu Bradford. Entweder um ihn wie vereinbart zu treffen. Oder um ihn zu suchen und zu retten. Eins von beiden.
Falls Bradford noch lebte, falls er Hannah in Sicherheit gebracht hatte, würde Logan seine Tochter zurückverlangen, und Bradford würde sich weigern. Das war die einzige Möglichkeit. Bradford war weder Hannahs Vormund, noch war er offiziell berechtigt, sie nach Hause zu bringen. Er konnte überhaupt nichts anderes tun, als das Mädchen zu seiner Mutter zu bringen, und deshalb würde er versuchen, das so schnell wie möglich zu erledigen.
Danach hatte Bradford mit Sicherheit nur das eine Bedürfnis, nämlich nach Buenos Aires zurückzukehren und Munroe zu suchen, ganz egal, wie lange es dauerte. Aber das Letzte, was sie wollte, war, dieses Durcheinander noch länger auszudehnen. Sie musste ihn sprechen, bevor er bei Charity war, und aus einem ganz bestimmten Grund musste auch sie vor Charity bei Hannah sein. So oder so, die Zeit war knapp. Charity würde ungefähr einen Tag brauchen, bis sie in Montevideo war … wenn sie nicht bereits unterwegs war.
Mit gesenktem Kopf betrat Munroe das Hotel und hielt dabei mit einer Hand notdürftig ihr zerfetztes Hemd zusammen.
Ohne Umschweife steuerte sie die Toilette im Erdgeschoss an. Sie hatte im Rückspiegel des Wagens ihr Gesicht gesehen. Es war kein schöner Anblick gewesen. Ihre Lippen waren geschwollen, beide Augen blau und ihre Wangen und die Stirn mit Prellungen und Flecken übersät. Alles in allem lebte es sich mit so einer Gesichtsfarbe natürlich deutlich besser als mit der leichenblassen Alternative, aber gleichzeitig war es damit so gut wie unmöglich, auch nur halbwegs unauffällig zu erscheinen.
Sie stieß die Toilettentür auf und verriegelte sie von innen. Dann stellte sie sich vor den Spiegel, drehte den Wasserhahn auf und schrubbte das Blut von Gesicht, Händen und Armen. Anschließend steckte sie den Kopf unter das fließende Wasser, um auch die paar Haare, die ihr geblieben waren, auszuwaschen.
Was das zerschlitzte Hemd anging, war es das Beste, es auszuziehen, das Unterhemd verkehrt herum anzuziehen, sodass die Löcher auf dem Rücken lagen, und dann wieder in die Fetzen zu schlüpfen. Sie waren voller Blut, vor allem an dem Arm, den sie für den Würgegriff benutzt hatte, aber daran ließ sich nichts ändern. Die Flecken waren auf dem schwarzen Stoff nicht eindeutig als Blutflecken zu identifizieren. Es konnte alles Mögliche sein. Es wäre ihr zwar lieber gewesen, sie auszuwaschen oder wenigstens die getrockneten Reste abzukratzen, aber das hätte mehr Zeit erfordert, als sie zur Verfügung hatte. Außerdem war sie schon lange genug hier drin.
Noch ein letztes Mal hielt sie das Gesicht unter das kalte Wasser und trocknete sich anschließend ab. Das Wasser konnte die Schwellung zwar auch nicht mindern, aber wenigstens fühlte sie sich besser.
Munroe verließ die Toilette und ging zum Empfang, wo
sie unter neugierigen Blicken auf ihr zerschundenes Gesicht den Zimmerschlüssel verlangte. Sie hatte, wie immer bei solchen Gelegenheiten, während der Aktion weder Reisepass noch Geld noch sonstige persönliche Gegenstände bei sich gehabt. Und obwohl sie fest davon ausging, dass das Zimmer geräumt war – sie konnte um Bradfords willen nur
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