Mission Munroe. Die Sekte
hätte er ihre Worte nicht verstanden.
Er war schmächtig, Mitte fünfzig, hatte graue Haare und trug einen mausgrauen Anzug. Ein einfacher Angestellter also, kein Geschäftsmann. Er sprach kein Spanisch, also war er wohl nicht von hier. Sie glitt durch den Verkehr und konzentrierte sich auf sein Geplapper, schnappte hier und da einen Brocken auf, bis schlagartig die Erkenntnis einsetzte. Was er da vor sich hinmurmelte, war eine Beschwörungsformel. Immer wieder dieselben Sätze. Auf Russisch. Sehr befremdlich. Munroe konnte nur mit knapper Mühe eine Kollision verhindern, dann konzentrierte sie sich wieder auf die Straße.
»Ya ne sdelayu vam nichego plokhogo «, sagte sie. Sie stand so sehr unter Stress, dass sie ohne nachzudenken die Sprache gewechselt hatte, als hätte sie den Fernseher umgeschaltet oder beim Nachhausekommen eine Jacke abgestreift.
»Ich muss bloß von einem Stadtteil in den anderen«, sagte sie zu dem Mann. »Dann bekommen Sie Ihr Auto wieder. Versprochen.«
Seine Augen wurden noch größer, wenn das überhaupt möglich war, und sein Mund stand jetzt sperrangelweit auf.
Das zumindest war eine vorhersehbare Reaktion gewesen. Es geschah oft, wenn jemand im Ausland plötzlich die Muttersprache hörte und glaubte, jemanden aus der Heimat getroffen zu haben. Trotz der ungewöhnlichen Umstände war ihr die Situation vertraut. Sie hätte jede seiner Fragen mit großer Routine beantworten können.
Aber er stellte sie nicht.
Seine Beschwörungsformel verstummte, seine Hände entspannten sich, er versuchte nicht, sie zu bekämpfen, und sie konnte in aller Ruhe weiterfahren. Dafür war Munroe ihm dankbar.
Vor Logans Gasthaus hielt Munroe unvermittelt an, sprang aus dem Wagen, knallte die Tür ins Schloss und riss sie noch einmal kurz auf, um sich ins Wageninnere zu beugen und sich zu entschuldigen. Dann schloss sie die Tür wieder und betrat fast im Laufschritt das Haus.
Sie machte sich nicht erst die Mühe, nach der Besitzerin zu suchen oder um einen Schlüssel zu bitten. Die Zimmer besaßen schmale Türrahmen und schwache Schlösser. Ein fester Tritt neben die Türklinke würde reichen, um ihr Zutritt zu verschaffen. Als Erstes stand sie vor Heidis Zimmer.
Sie klopfte. Wartete.
Trommelte. Wartete.
Und trat zu.
Die Türfüllung splitterte, die Tür schwang auf, und sie sah, womit sie gerechnet hatte. Das Zimmer war leer. Nicht
leer im Elitesoldaten-Stil wie vorhin, sondern eher so, als hätte es jemand mit einem Mal sehr, sehr eilig gehabt.
Sie hastete den Gang entlang zu Logans Tür und rechnete damit, das gleiche Bild vorzufinden. Trotzdem musste sie es mit eigenen Augen sehen. Die Tür flog auf, und sie blieb ruckartig stehen. Bradford hatte aufgeräumt, Heidi war weg, aber Logan und Gideon schienen immer noch hier zu sein.
Munroe trat ein und machte die Tür wieder zu, fummelte so lange am Schnappverschluss herum, bis er hielt. Sie ging zu den Betten, befühlte sie und stellte fest, dass sie schon lange nicht mehr warm waren. Computer und elektronische Geräte standen im Zimmer herum, und auf Gideons Nachttischchen lag das Buch, das er gerade las.
Die Jungs waren noch immer in der Stadt.
Munroe schob die Hand unter Logans Matratze und suchte nach seinem Geldgürtel, fand ihn und zog ihn hervor. Darin lagen sein Reisepass und etliche hundert Dollar, die Hälfte davon in argentinischen Pesos.
Angesichts all der anderen Indizien konnte es nur einen einzigen Grund geben, weshalb die beiden nicht verschwunden waren. Wenn sie nicht so unglaublich wütend gewesen wäre, sie hätte laut losgelacht.
Bradford hatte den Plan tatsächlich befolgt – bis zu einem gewissen Punkt. Und dann hatte er Logan und Gideon auf sie angesetzt. Ihr Ärger war mit Worten nicht zu beschreiben. Menschen, die sie liebte und die ihr am Herzen lagen, waren irgendwo in dieser Stadt unterwegs. Sie hatte keine Ahnung, wo. Keine Ahnung, ob es ihnen gut ging. Am liebsten hätte sie auf der Stelle angefangen, nach ihnen zu suchen und ihre schützende Hand über sie zu halten. Aber im Prinzip ging es ihr nicht anders als einem
Kind in einem großen Freizeitpark, das seine Eltern verloren hatte: Wenn sie nicht alles noch schlimmer machen wollte, blieb ihr nichts anderes übrig, als sich an die Absprachen zu halten. Zum vereinbarten Treffpunkt zu kommen und zu hoffen, dass die anderen auch da waren.
Munroe griff sich einen Teil der Pesos und stopfte sie in ihre Tasche. Entdeckte einen Stift, kritzelte ein paar Worte
Weitere Kostenlose Bücher