Mission Munroe - Die Touristin: Thriller (German Edition)
gar nicht danach ausgesehen. Das erste Angebot hatte sie rein zufällig erhalten, zu einem Zeitpunkt, als sie am Boden zerstört gewesen war. Als sie das Gefühl gehabt hatte, sie sei für alle traditionellen Jobs ungeeignet und würde die Studienförderung niemals zurückzahlen können.
Es war in ihrem zweiten College-Jahr, mitten in einer durch Drogen und Alkohol vernebelten Phase ihres Lebens. Der Abgabetermin für ihre Seminararbeit in vergleichender Politikwissenschaft war bedrohlich nahe gerückt, und so schnappte sie sich eines Abends ihren abgetakelten Laptop und vier Kannen Kaffee, arbeitete die ganze Nacht durch und verfasste einen Bericht über Kamerun. Die Quellenangaben waren zwar gefälscht, doch die in dem Bericht enthaltenen Informationen, die auf persönlichen Erlebnissen und Beobachtungen, logischen Schlussfolgerungen und einem tiefen Verständnis für die Bevölkerungsstruktur des Landes basierten, allesamt außerordentlich zutreffend.
Die Erleichterung darüber, dass sie die Arbeit noch rechtzeitig geschafft hatte, wich allerdings einer gewissen Bestürzung, als ihr Professor sie zu einem persönlichen Gespräch bat. Es stellte sich heraus, dass er ihren Text an einen Kollegen weitergeleitet hatte, der sie daraufhin unbedingt kennenlernen wollte.
Der Mann war als Wirtschaftsanalytiker für die Afrikaabteilung des Internationalen Währungsfonds tätig und stellte Munroe wiederum einem seiner Geschäftspartner vor, einem gewissen Julian Reid. Obwohl klar war, dass sie für ihren Bericht keine Originalquellen benutzt haben konnte, hatten ihre Analysen und Schlussfolgerungen die Neugier dieser beiden Männer geweckt. Reid lud sie zum Mittagessen ein und fragte sie, ob sie sich vorstellen könnte, einen ähnlichen Bericht über ein anderes Land anzufertigen. Er und seine Partner, so sagte er, wollten in Marokko ein Unternehmen gründen, und obwohl das Land politisch und wirtschaftlich relativ stabil war, fehlte ihnen ein Insider, jemand mit einem intuitiven Gespür für das Land, seine Sitten und Gebräuche, jemand, der auch die Feinheiten verstehen konnte und eine Vorstellung davon besaß, wie man mit den politischen Hierarchien, dem Bestechen und Bestochenwerden und dem ganzen Machtgerangel umzugehen hatte. Genau diese Art von Information hatte ihren Kamerunbericht so interessant gemacht. Ob sie, wollte er wissen, sich in der Lage sah, auch in anderen Zusammenhängen eine vergleichbare Untersuchung durchzuführen?
So hatte alles angefangen.
Marokko war ihr erster Auftrag gewesen. Er hatte acht Monate in Anspruch genommen, acht Monate, die ihr Leben komplett auf den Kopf gestellt hatten. Keine Drogen mehr, kein Alkohol, dafür nichts als absolut zielgerichtete Konzentration, die ihr inneren Frieden bescherte. Außerdem brachte sie nur dieser eine Auftrag mit einem Schlag wieder in die schwarzen Zahlen. Darauf folgte ein zweimonatiger Aufenthalt in Uruguay, im Auftrag des IWF. Als ihr drittes Projekt – in Vietnam – abgeschlossen war, hatte es sich bereits herumgesprochen. Mit jedem Auftrag verbreitete sich der Ruf, dass sie in der Lage war, akkurateste Informationen zu liefern, und so war es nur eine Frage der Zeit, bis die Gesetzmäßigkeiten von Angebot und Nachfrage anfingen zu greifen. Der Wert ihrer Dienstleistung steigerte sich um ein Vielfaches, genau wie ihre Honorare. Niemand wollte wissen, wie sie zu den Informationen kam oder was sie dafür tun musste. Ihre Klienten zahlten einfach.
Aber jetzt hatte sie ein Angebot erhalten, das weit außerhalb ihres Spezialgebietes lag, und genau das reizte sie daran … Das und die Tatsache, dass sie seit ihrem überstürzten Aufbruch vor neun Jahren den Kontinent ihrer Geburt nie wieder besucht hatte. Munroe schob die Erinnerungen beiseite. Im Foyer traf sie auf Kate Breeden, und sie fuhren schweigend in die siebenunddreißigste Etage, wo sie aus dem Fahrstuhl in einen großzügigen Empfangsbereich traten.
Die Flure waren mit Teppichboden ausgelegt, die Vollholztüren verschwenderisch getäfelt. Es herrschte eine gedämpfte, ehrfürchtige Atmosphäre. Titan Exploration war ein faszinierendes Beispiel für ein Unternehmen aus der ersten Garde der US-amerikanischen Konzernlandschaft, und Munroe beobachtete das, was sich hier abspielte, mit distanzierter Neugier, während sie Burbanks Sekretärin über teure Teppiche und durch gut ausgeleuchtete Flure folgte.
Die Welt der Großunternehmen mit all ihren internen Klüngeleien und ihrem
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