Mission Munroe - Die Touristin: Thriller (German Edition)
ist es passiert, Christof. Woran kannst du dich erinnern?«
Er seufzte und schloss die Augen. Sein Kopf sackte ein wenig zur Seite, und sein Gesicht zeigte denselben leeren Ausdruck wie bei ihrem Eintreten.
Sie blieb fast vier Stunden lang bei ihm. Sie redete sanft mit ihm, erklärte ihm, dass sie Emily finden wollte, und suchte in seinem Gesicht nach Hinweisen, die ihr den Zugang zu seiner Gedankenwelt ermöglichen konnten. Etliche Male löste er sich für kurze Zeit aus seiner dumpfen Erstarrung und blickte sie an. Einmal lächelte er sogar, aber während ihres gesamten Besuches kam kein einziges Wort über seine Lippen.
Der Nachmittag verging, und Munroe verließ die Klinik. Über eine Stunde später traf sie in Langen ein, einem Städtchen im Süden Frankfurts. Auf dem Kopfsteinpflaster vor dem Bahnhof, der die Stadt in zwei Teile spaltete, vertiefte sie sich in den überdimensionalen Stadtplan. Die Abenddämmerung war nicht mehr weit, und bald würde es noch kälter werden. Sie schlug ihren Mantelkragen hoch. Es würde nicht lange dauern. Sie wollte sich nur schnell das Haus anschauen, einmal daran vorbeigehen, einfach nur, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was sie zu erwarten hatte, wenn sie Christofs Mutter einen Besuch abstattete.
Frau Berger wohnte in einer stillen, sauberen Straße nur drei Minuten vom Bahnhof entfernt. Ihr kleines, schmales Häuschen besaß zwei Stockwerke und war, wie die Nachbarhäuser auch, mit roten Lehmziegeln gedeckt. Allerdings war es, im Gegensatz zu den anderen, in einem schlechten Zustand. Von den dunkelgrünen Fensterläden blätterte die Farbe ab. An einigen Stellen hatte sich der Putz von der Hauswand gelöst, sodass man das darunter liegende Mauerwerk erkennen konnte. Munroes Blick fiel auf die mit zahlreichen üppigen Pflanzen geschmückten Fensterbretter. Auch die zwei Meter zwischen Bürgersteig und Haustür waren sorgfältig gepflegt und eingezäunt; im Frühling gaben sie bestimmt einen wunderbaren Garten ab. Aber jetzt, in der Abenddämmerung, machte das Häuschen einen verlorenen und einsamen Eindruck.
Munroe kehrte zum Bahnhof zurück und wartete auf die S-Bahn, die sie zurück nach Frankfurt bringen sollte. Um nicht völlig auszukühlen, blieb sie in Bewegung, marschierte den Bahnsteig auf und ab und stellte fest, dass sie vom äußersten Bahnsteigende aus Frau Bergers Haus erkennen konnte. Als sie zum dritten Mal die Spitze des Bahnsteigs erreichte, sah sie Licht im Haus und merkte sich die Uhrzeit.
Am folgenden Tag besuchte sie Christof erneut und fand ihn mit demselben Gesichtsausdruck auf demselben Stuhl sitzend vor. Als sie auf ihn zutrat, hob er den Kopf und lächelte. Sie setzte sich neben ihn, legte ihm die Hand auf den Arm und ließ schweigend eine Stunde nach der anderen verstreichen.
Und dann fing Christof an zu sprechen. Zäh und schwerfällig kamen die einzelnen Worte über seine Lippen. »Wir sind da hingegangen, wo das Geld vergraben war«, sagte er. »Wir sind zusammen losgerannt, und dann war sie weg, da, wo das Geld war.«
Munroe wartete ab, ließ die Stille wirken, und dann sagte sie mit Flüsterstimme: »Kannst du mir sagen, wo?«
»Sie war weg. Sie war weg, und es war rot, und wir haben die Stelle mit dem Geld nie gesehen.«
Noch zwei weitere Male wiederholte er diese Worte, sonst sagte er nichts, beantwortete keine ihrer Fragen. Munroe blieb noch eine ganze Stunde bei ihm, dann machte sie sich auf den Weg nach Langen. In der Bahn ging sie die Abschriften von Christofs früheren Äußerungen noch einmal durch. Und entdeckte die Worte, genau die gleichen Worte: Wo das Geld vergraben war. Sie schloss die Augen. Die Wärme und das rhythmische Klackern des Zuges lullten sie ein, machten sie schläfrig. Seine Worte hatten etwas zu bedeuten, irgendetwas.
Sie suchte einen Blumenladen in der Hauptstraße von Langen auf und erstand einen der teuersten Artikel im ganzen Geschäft. Er war, so hoffte sie, eine willkommene Ergänzung für die Sammlung auf Frau Bergers Fensterbrettern und damit auch ein Türöffner. Munroe kehrte wieder auf den kalten Bahnsteig zurück und wartete, bis kurz nach Einbruch der Dämmerung die Lichter im Haus eingeschaltet wurden.
Munroe klingelte, und Frau Berger öffnete die Tür, wischte sich die Hand an einer makellosen Schürze ab. Munroe trat einen Schritt auf sie zu. »Guten Abend, Frau Berger, ich bin die Michaela – ich bin eine Freundin von Christof«, sagte sie. »Ich war im Ausland und habe erst kürzlich
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