Mission Munroe - Die Touristin: Thriller (German Edition)
zur zweitgrößten Stadt von Bioko, einem Hochseehafen mit rund achttausend Einwohnern. Es war die einzige Straße entlang der Westküste. Zahllose kleine Dörfer aus dem Landesinneren waren über schmale Feldwege mit ihr verbunden.
Auf der anderen Straßenseite befand sich ein gerodetes Stück Land. Rohe, aufeinandergestapelte Zementblöcke bildeten ein halb fertiges Haus. Rostrote Moniereisen ragten zum Himmel empor, und vom Erdboden her nahm ein dichter Teppich aus grünem Schimmelpilz die Steine in Besitz. Vom Gesang der Vögel und dem Summen der Insekten einmal abgesehen, war es vollkommen still. Irgendwann würde auch ein Auto vorbeikommen, vielleicht drei- oder viermal pro Stunde. Sie brauchte sich nur hinzusetzen und zu warten.
Munroe holte die CFA-Francs aus dem Gürtel und stopfte sie in ihre Tasche. Gut möglich, dass sie Geld für ein Sammeltaxi brauchte, wenn sich nichts Besseres ergab. Sie lehnte sich an einen dicken Baumstamm, weit genug von der Straße entfernt, um selbst nicht gesehen zu werden, aber nahe genug, um vorbeifahrende Fahrzeuge rechtzeitig zu erkennen. Im Schatten der Bäume roch die Luft nach feuchtem Humus, die Erde war fruchtbar und nass und voller Leben.
In ungefähr zwei Stunden setzte die Abenddämmerung ein. Das war die Zeit, wo die Soldaten in Massen aus ihren Unterschlüpfen kamen, betrunken und schießwütig, und alle paar Kilometer einen Kontrollposten errichteten. Dann waren hier nur noch die mutigsten – beziehungsweise die verrücktesten – Autofahrer unterwegs. Aber bis dahin würde sie die gesamte Bandbreite an Fahrzeugen zu Gesicht bekommen, angefangen bei den kleinen, permanent überladenen Sammeltaxis mit ihren gebrochenen Blattfedern bis hin zu den überalterten Lastwagen der europäischen Baufirmen, die mit irgendwelchen, niemals endenden Entwicklungsprojekten beschäftigt waren. Mit ein bisschen Glück kam vielleicht einer der blitzblanken Land Cruiser mit Klimaanlage vorbei, wie sie die hohen Tiere der Ölgesellschaften benutzten. Das war auf jeden Fall die sicherste Möglichkeit: in deren Masse untertauchen und auf der Stelle unsichtbar werden.
Munroe saß inmitten der Stille und kratzte mit einem Stock in der Erde herum, zeichnete gedankenverloren eine Skizze und ließ sich dabei die verschiedenen Optionen, die ihr zur Verfügung standen, und die Ereignisse des gestrigen Tages durch den Kopf gehen. Wie auf dem Notizblock eines Football-Trainers tauchten überall Kreise und Linien auf, ohne erkennbaren Zusammenhang – schnelle Striche, gezackte Wellen –, und ihre Gedanken wuselten wild durcheinander, nur um, vergleichbar den Kreisen in ihrer Zeichnung, immer wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurückzukehren: Emily Burbank.
Eine Sekunde. Fünfzehn Zentimeter. Wie in einer Endlosschleife lief in ihrem Kopf immer nur diese eine Szene ab: Wie die Pistole aus der Dunkelheit auf ihr Gesicht zukam und wie sie rückwärts ins Wasser fiel. Eine Sekunde vor dem Schuss. Sie biss die Zähne aufeinander und stieß den Stock schneller, fester in die Erde. Im Meer versenkt, weil sie nicht kapieren wollte, dass sie verschwinden sollte. Emily Burbank.
Bis gestern Abend war dieser Auftrag für sie eine rein geschäftliche Angelegenheit gewesen. Aber jetzt war es etwas Persönliches: Irgendjemand hatte ihren Tod angeordnet und hätte damit beinahe Erfolg gehabt. Sie hätte um ein Haar eine Kugel in den Kopf bekommen. Der nächste Kreis, der nächste Gedanke. Wenn sie der verbotenen Spur zu Emily Burbank folgte, würden die Antworten zu ihr kommen, würden sie finden. Und wenn es so weit war, dann würde sie Vergeltung üben, selbst wenn sich herausstellen sollte, dass es gegen den Präsidenten dieses gottverdammten Landes ging.
Bradford. Wo zum Teufel steckte der eigentlich? Warum war er nicht an Bord gewesen? Er war ihr doch auf Schritt und Tritt durch die Stadt gefolgt. Er hatte denselben Flug aufs Festland gebucht wie sie. Hatten sie ihn womöglich schon vorher über Bord geworfen?
Sie rieb sich die Augen und presste die Finger auf ihren Nasenrücken. Dieser Typ war nichts weiter als eine beschissene Bürde geworden. Jetzt hatte sie nicht nur eine, sondern zwei Vermisste am Hals.
Nein.
Bradford war durchaus in der Lage, auf sich selbst aufzupassen. Falls sie zusammen auf das Boot verschleppt worden waren, ließ sich das sowieso nicht mehr ändern, und falls nicht – sie rammte den Stock mit Wucht in den Boden, und er brach entzwei –, dann konnte sie bloß hoffen,
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