Mission Spyflight
sich nicht so viel in die trockene Theorie vertiefen müsste.
Das Disco-Gehüpfe von Shakira endete in einem schicksalsschweren Krähen und dann sprang das Radio an. Jenni hatte nie kapiert, wieso bei dem neuen Apparat jedes Mal das Radio anging, wenn eine CD zu Ende war. |168| Sie musste ihren kleinen Bruder fragen, aber der wurde immer gleich schnippisch, wenn sie ihm ihre technische Unwissenheit offenbarte.
Im Radio kamen die Spätnachrichten. Die deutlich artikulierende Stimme des Sprechers teilte mit, dass auf einem Übungsgelände der Armee der dort getestete wertvolle Prototyp einer Luftabwehrrakete gestohlen worden sei. Die Polizei bitte die Bevölkerung um Mithilfe bei der Überprüfung von größeren Lieferwagen und Lastwagen. Der verschwundene Gegenstand sei zwei mal drei Meter groß und werde höchstwahrscheinlich auf einer Landstraße irgendwo im Süden Finnlands transportiert. Im Anschluss an die Erklärung der Polizei wurde der Pressechef von Patria interviewt.
Jenni ging ins Wohnzimmer und fand ihre Mutter mit einer Strickarbeit vor dem Fernseher sitzen. Ihr Bruder schien sich in der Küche am Kühlschrank zu bedienen, der Vater war wahrscheinlich in der Sauna.
»Du, hör mal, ich hab da unterwegs an der Landstraße was Komisches gesehen. Da haben ein Lieferwagen und ein Laster gestanden, bei dem hinten ein Mann reingegangen ist.«
»Aha.«
»Im Radio haben sie gerade gesagt, es wäre irgendwo eine Rakete geklaut worden. Womöglich soll sie aus dem Land geschafft werden, und es kann sein, dass Terroristen dahinterstecken.«
»Das ist auch im Fernsehen gekommen«, sagte die Mutter. »Aber für die Bevölkerung besteht angeblich keine |169| Gefahr. Außerdem sind auf der Landstraße ständig jede Menge Lastwagen unterwegs.«
»Gefahr besteht keine. Aber ich werde der Polizei jedenfalls helfen, wenn sie schon darum bittet.«
»Muss das sein?«, fragte die Mutter, konzentrierte sich aber schon wieder auf ihre Sendung.
Jenni rief die Polizei an.
|170| 32
Andrej Sabalin alias Heinz-Joachim Ferder reichte dem Zöllner am Grenzübergang Vaalimaa die Fracht- und Zollpapiere des Lastwagens. Die Bearbeitung dauerte nur wenige Minuten, der Beamte nickte und wünschte sogar auf Deutsch eine gute Fahrt. Sabalin bedankte sich und ging zügig zu seinem Lkw.
Alles war glattgelaufen, aber jede Sekunde, die er auf der finnischen Seite verbrachte, erhöhte das Risiko, erwischt zu werden. Der Major hatte keinerlei falsche Vorstellungen von der Effektivität der finnischen Sicherheitspolizei und der Nachrichtendienstabteilung der finnischen Streitkräfte. In Helsinki waren sie mit Sicherheit längst dabei herauszufinden, welche GR U-Offiziere sich wo in Skandinavien aufhielten. Besonders würden sie sich damit beschäftigen, wo sich diejenigen GR U-Offiziere und Agenten gerade befanden, die Finnisch konnten oder sogar gebürtige Finnen waren. Darum hatte Sabalin dem General auch vorgeschlagen, eine deutsche Tarnidentität und einen deutschen Lkw zu benutzen. Das war nur eine der wirksamen Entscheidungen gewesen, die er im Verlauf des Nachmittags hatte treffen müssen.
Als er den ersten Schritt aufs Trittbrett des Scania |171| machte, meinte der Major ein gedämpftes Geräusch aus dem Laderaum des Lasters zu hören. Er entschied sich aber dafür, sich verhört zu haben, und stieg ins Führerhaus. Der Junge konnte sich unmöglich losgerissen haben. Und selbst wenn er seine Fesseln loswürde, käme er aus dem Metallgehäuse nur mithilfe eines Schweißgerätes heraus.
Sabalin musste zugeben, dass ihm der Junge ein Rätsel war. Das war keiner von der üblichen Sorte mit Schlabberhosen. Er empfand sogar eine ungewollte Bewunderung für den Kerl, jetzt, da das Bürschchen seine Pläne nicht mehr durchkreuzen konnte.
Der Major blickte auf die Grenzlinie. Allmählich fing das Adrenalin in seinem Kreislauf an zu rumoren und ihn überkam ein plötzliches Triumphgefühl. Letzten Endes war die Operation überraschend leicht über die Bühne gegangen, wenn man bedachte, von was für einem Kaliber sie war.
Langsam öffnete sich der Schlagbaum vor ihm.
Zollchef Veikko Mattilas Augen taten weh. Im Abstand von wenigen Minuten trafen neue E-Mails ein und alle waren als besonders wichtig oder geheim eingestuft. Ihm gegenüber saß Grenzschutzhauptmann Hynönen und telefonierte aufgeregt mit seinem Vorgesetzten in Helsinki.
Wieder eine neue Mail. Mattila sah kurz aus dem Fenster auf den Grenzübergang. Das Dämmerlicht
Weitere Kostenlose Bücher