Mission Spyflight
ein einziges Mal hatte einer von beiden telefoniert.
Aaro hatte Angst. Die Männer machten sich gar nicht erst die Mühe, ihre Identität zu verbergen. Sie befürchteten demnach nicht, jemals vor ein Gericht zu kommen, wo Aaro als Zeuge gegen sie aussagen konnte.
Der weiße Renault-Lieferwagen hielt hinter dem Laster an. Der Fahrer, ein stämmiger, dunkelhaariger Mann, derselbe, der zuvor mit dem Lkw gewartet hatte, stieg aus. Er hatte Kabelbinder aus Plastik in der Hand. Der vierte Mann blieb im Auto.
|157| Der Mercedesmann riss Aaro das Klebeband vom Mund und reichte ihm eine Flasche Mineralwasser. Aaro trank gehorsam und gierig. Aber dann war das Picknick auch schon wieder vorbei: Ihm wurden erneut die Hände gefesselt, diesmal vor dem Körper, was etwas leichter auszuhalten war. Die Hecktür des Lastwagens wurde geöffnet, er musste die Metallstufen hinaufsteigen und wurde dann in den Laderaum gestoßen.
Seine gefesselten Hände wurden mit einer dünnen Kunststoffschnur an einem Metallring an der Wand festgebunden. Mit dem Rücken lehnte er an dem grashüpferartigen Fluggerät und hörte, wie die Hecktür des Lastwagens wieder sorgfältig geschlossen wurde. Anschließend knackte ein Schloss. Im Laderaum herrschte völlige Finsternis.
Aaro erinnerte sich, am Heck des Lkw ein blaues TI R-Schild gesehen zu haben. Bedeutete das knackende Geräusch, dass eine gefälschte Plombe installiert worden war, um ein problemloses Überqueren der Grenze zu gewährleisten? Da sie sich in der Nähe von Kouvola, also ganz im Osten Finnlands befanden, konnte es sich nur um die Grenze nach Russland handeln. Das passte zur Nationalität der Männer und zu den Beobachtungen, die Aaro gemacht hatte: Diese Männer waren keine Amateure. Wer wollte so ein merkwürdiges Miniaturflugzeug stehlen?
Es musste der russische Geheimdienst sein, der dem finnischen Militär und der finnischen Polizei das Fluggerät vor der Nase weggeschnappt hatte. Aaro kam der Fall des in London ermordeten Exagenten Litwinenko in den |158| Sinn, und er dachte an das Bild, das zahllose Filme von den Methoden des gnadenlosen russischen Geheimdienstapparates zeichneten.
Die Vorstellung, in einem stockfinsteren Container über die Grenze nach Russland zu fahren, war nicht angenehm. Absolut nicht.
Jenni Nevala schaute sich den mit Darstellungen von Gemüse bemalten deutschen Lkw auf dem Parkplatz genau an. Warum waren Fahrer und Beifahrer in den Laderaum gegangen? War die Ladung in Bewegung geraten? Jenni war sich nicht ganz sicher, aber für sie hatte es so ausgesehen, als wäre einer der drei im Laderaum geblieben, während die anderen die Hecktür wieder schlossen. Und warum zwängten sich jetzt drei Männer in den weißen Lieferwagen mit den finnischen Kennzeichen? Warum fuhr der Lieferwagen in die Richtung, aus der er gekommen war, zurück, während der Lkw mit nur einem Mann im Führerhaus die Fahrt in Richtung Osten fortsetzte?
Durch die Grenze war in den letzten Jahren mehr Leben ins südöstliche Finnland gekommen, zumindest auf den Landstraßen. Sicherheitshalber notierte sich Jenni die Reklameaufschrift des Lkw auf der Umschlaginnenseite ihres Notenhefts. Man konnte nie wissen, am Ende machten die Männer etwas Illegales. Es wäre spannend, wenn sie der Polizei ein bisschen helfen könnte …
Sie drehte erneut den Zündschlüssel ihres Rollers und jetzt sprang der Motor an. Mit dem Zündkabel musste |159| etwas nicht stimmen, das hatte auch ihr Vater schon vermutet.
Jenni machte sich auf den Weg nach Hause. Sie hatte Hunger, denn sie hatte einen Sommerjob an der Supermarktkasse und war heute gleich nach Feierabend zur Musikstunde gefahren, ohne dazwischen Zeit zum Essen gehabt zu haben.
Durch die Windschutzscheibe sah Niko dem Mann mit dem Jagdanzug und der roten Mütze in die Augen. Der Mann hielt ein Sturmgewehr in den Händen, mit dessen Lauf er eine kleine Bewegung machte. Die Bedeutung der Geste war klar: Niko schlüpfte aus dem Auto, nachdem er zuvor sein Handy in die Tasche geschoben hatte. In der Ferne hörte man das Geräusch eines näher kommenden Hubschraubers. Für Nikos Geschmack wurde die Atmosphäre im Wald allmählich ein bisschen zu bedrückend.
»Mein Freund und ich sind den Russen gefolgt«, fing er leise an, sprach dann aber lauter, weil der Lärm des Helikopters immer stärker wurde. »Also den Mercedesdieben … Die hatten zuerst einen roten Vectra, dann einen weißen Renault-Lieferwagen, ziemlich neu noch.
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