Mission Unterhose
»Also. Ich bin ja vegegarnicht. Das heißt so, weil ’s bei uns gar nicht was mit Fleisch gibt. Bei uns gibt’s meistens nur Salat. Meine Mutter ruft immer: Komm endlich, das Essen wird sonst welk!«
In diesem Moment rollte der weiße Mercedes aus der Villen-Auffahrt und stoppte vor der Absperrkette. Die Fahrertür öffnete sich und der Nachbar stieg aus. Er sah exakt so aus, wie Frau Biber ihn beschrieben hatte. Er trug einen Kapuzenpulli und eine Sonnenbrille und hatte sich trotz der Hitze einen Schal über Mund und Nase gezogen. Eilig öffnete er die Absperrkette, sauste wieder in seinen Wagen und fuhr davon.
»Boah«, sagte Kalli und sprang auf. »Das war er. Los! Jetzt können wir gucken.«
»Was willst du denn da noch gucken!«, ächzte Hannes. »Du hast doch schon alles gesehen.«
»Haben wir gestern etwa vorne in die Fenster reingeguckt?«, entgegnete Kalli. »Nein! Müssen wir also noch machen!«
»Müssen wir nicht, weil da nämlich Kameras sind!«, protestierte Hannes. »Die nehmen uns auf und Jonny guckt sich das an. Und dann?«
»Daaaaann«, sang Kalli und tänzelte zur Absperrkette, die auf dem Boden lag, »dann tanzen wir den ›Oh Jonny, bitte murks uns nicht ab‹-Tanz. Und der geht so:
Oh Jonny, Jonny, murks uns nicht ab.
Oh bitte, bitte, tu uns nicht weh,
sonst beißen wir dir in den Stinkezeh!
Oh yeah!«
Hannes schnappte sich die beiden großen Badehandtücher, auf denen sie gesessen hatten, und flitzte zu Kalli. Er musste ihn zum Schweigen bringen, bevor er die gesamte Siedlung zusammensang.
»Leise!«, beschwor er ihn. »Der hat bestimmt auch Mikrofone. Wenn die auch nur einen Huster hören …«
Kalli wollte etwas erwidern, doch Hannes presste ihm die Hand auf den Mund. »Ich komme mit. Aber du schwörst, dass du leise bist. Schwörst du?«
»Mpf«, machte Kalli und hob die Finger zum Schwur.
Hannes warf sich und Kalli die Handtücher über den Kopf. »Tarnung«, wisperte er.
Die Fenster der Villa waren mit geschlossenen Jalousien verhangen. Es gab nicht den kleinsten Spalt, durch den man hindurchspähen konnte. Hannes machte eindringliche Zeichen zur Straße hin. Sie hatten alles gesehen, was zu sehen war, und er fand, sie sollten sich nun schleunigst entfernen. Kalli hatte jedoch noch etwas entdeckt. Ein kleines Fenster, eine Lichtklappe nur. Sie lag weit oben neben der Haustür.
»Da!«, raunte er Hannes zu. »Keine Jalousie. Guck!«
Widerstrebend sah Hannes hoch. »Da kommen wir nicht ran.«
»Doch! Wir machen Räuberleiter!«
Hannes hatte keine Ahnung, was Räuberleiter war und er wollte es auch nicht wissen, es klang gefährlich. Aber Kalli lehnte bereits an der Hauswand, verschränkte die Hände vor dem Bauch und nickte Hannes aufmunternd zu.
»Mit dem Fuß in meine Hände und dann auf meine Schultern rauf. Und hopps!«
»Nein!«, sträubte Hannes sich verschreckt. »Das kann ich nicht. Auf keinen Fall!«
Eine Minute später stand er mit weichen Knien auf Kallis Schultern und versuchte, Halt an der Hauswand zu finden. Panisch bemühte er sich, Balance zu halten und einen Blick durch die Scheibe zu werfen. Als ihm das Handtuch über die Augen rutschte, nahm er eine Hand von der Wand, um es wieder zu richten, und geriet ins Wackeln. Es war eine Art hübsch gedrehter Bauchklatscher, mit dem Hannes zu Boden stürzte. Im Fallen riss er Kalli mit sich, rammte ihm einen Ellenbogen ins Auge und einen Fuß in den Magen, begrub ihn unter sich und landete mit der Stirn auf den spitzen Steinchen der kiesbestreuten Auffahrt. Hannes schmeckte Blut in seinem Mund, ein Zahn wackelte und in seinem Kopf war wahrscheinlich ein Riesenloch, das spürte er. Ganz sicher lief gerade sein Gehirn aus und taub geworden war er auch, denn er hörte nur noch ein leises Motorenbrummen in seinem Kopf.
»Sie kommen«, keuchte Kalli unter ihm. »Ich hör sie! Sie sind an der Einfahrt!«
Ächzend robbten die beiden zur Hauswand und warfen die Handtücher über sich. Die Situation war aussichtslos. Die Zufahrt endete vor der Villa und der hohe Lattenzaun war unüberwindbar. Sie saßen in der Falle.
Sekunden später hielten die Autos neben ihnen. Als die Motoren abgestellt wurden und Schritte auf dem Kies knirschten, tat Hannes einen heiligen Schwur: ›Wenn sie uns übersehen‹, schwor er, ›werde ich nie wieder auch nur ein Wort in einem Agentenheft lesen. Ich werde niemals einen Actionfilm gucken und das friedlichste Leben der Welt führen.‹
Die Schritte hielten inne.
»Was liegen hier
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