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Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack

Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack

Titel: Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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lästigen Erektionen zu befreien. Dass sich diese Läden quasi zwischen einem Reebok-Geschäft und einem Rolex-Händler befinden, scheint mir Beweis dafür, dass irgendeine Art von Sozialpolitik dahintersteckt, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, welche. Im modernen Singapur gibt es jedoch bemerkenswert wenig, was nicht das Resultat bewusster und zweifellos genau durchdachter Sozialpolitik wäre.
    Nehmen wir das Beispiel Dating. Nachdem sich eine Reihe von Kampagnen zur Senkung der nationalen Geburtenrate als allzu erfolgreich erwiesen hatten, führte Singapur ein System des »Pflicht-Datings« ein. Angesichts der Umstände sicher verständlich. Weniger schön war allerdings die Tatsache, dass jemand,der sich diesem System verweigerte, fürchten musste, von seinem Arbeitgeber verwarnt zu werden. Das Ganze schien auch einen eugenischen Hintergrund zu besitzen, denn das Pflicht-Dating für erfolgreiche Yuppies wurde von einer anderen Regierungsbehörde verwaltet als das für die weniger Gebildeten. Vielleicht habe ich da aber auch etwas falsch verstanden, denn die Singapurer schienen die intime Politik ihrer Regierung nur ungern einem neugierigen Ausländer erläutern zu wollen, der den Durchschnittsmenschen um mehr als das Doppelte überragt und unablässig schwitzt wie ein alter Käse.
    Interessanterweise, und ich würde sogar sagen gottlob, mangelt es Singapur an bestimmten Ausprägungen der Kreativität. Gottlob deshalb, weil ich bald schon verzweifelt nach einem Beweis dafür suchte, dass sich eine solch starke Reglementierung negativ auf die Innovationskraft der Bevölkerung auswirkt.
    Da die Züge wohl tatsächlich alle pünktlich fahren, muss ich mir für meine Sticheleien ein paar einfachere Ziele suchen. Moderne städtische Skulpturen laden generell zum Spott ein, und in Singapur gibt es jede Menge davon. Die Tendenz ging zu enorm großen Objekten, die an eine Karikatur aus dem Mad -Magazin erinnerten, mit der die moderne Kunst auf die Schippe genommen werden sollte: schwerfällige Bronzeklumpen mit genauso schwerfälligen Löchern darin. Andererseits: Vielleicht erfüllten diese auf den ersten Blick sinnlosen Elemente der Stadtlandschaft ja auch einen mir unbekannten, hochgradig speziellen geomantischen Zweck. Vielleicht bildeten sie in Wahrheit Feng-Shui-Kanäle und erinnerten nur oberflächlich an Henry-Moore-Skulpturen, die von Möbeldesignern des Holiday Inn nachgebaut wurden.
    Der Mangel an Kreativität lässt sich an einem Bereich jedoch ganz besonders gut ablesen: dem Shoppen – eine der beiden Leidenschaften der Stadtbewohner. Von den üblichen Preisunterschieden einmal abgesehen, werden in den zahllosenEinkaufsmeilen der Stadt überall dieselben Waren angeboten, ohne auch nur den geringsten Versuch, ihre Präsentation zu variieren. Das ist freilich etwas, das bei Einkaufsmeilen generell zu beobachten ist – allerdings würde eine wirklich konkurrenzbewusste Einkaufskultur sicherstellen, dass den Kunden in regelmäßigen Abständen etwas Neues oder zumindest etwas Vertrautes in ungewohntem Kontext geboten wird.
    Die andere große Leidenschaft der Singapurer ist das Essen. Und es ist tatsächlich nicht leicht, in Singapur ein schlechtes Restaurant zu finden. Die Küche, ließe sich vielleicht mit einigem bösen Willen anmerken, ist relativ traditionell, aber wenn man in Singapur auf etwas verzichten kann, dann auf eine Wolfgang-Puck-Pizza. Das Essen in der Stadt, besonders die unzähligen Varianten von Snacks, die an den Straßenständen angeboten werden, ist eine Klasse für sich. Erwischt man die richtigen drei Stände hintereinander, kann man sie schnell für ein Wunder der modernen Welt halten. Und dank der gründlichen, wenn nicht gar pingeligen Kontrollen des Singapurer Gesundheitsamts, ist das Essen auch absolut sicher – und wer hätte daran schon etwas auszusetzen? (Applaus bitte, wo er verdient ist.)
    Aber trotzdem. Irgendwie ist es langweilig hier. Es ist dieselbe Langeweile, die in jedem Freizeitpark lauert, aber besonders in den frisch renovierten. Alles glänzt und strahlt vor Nettigkeit, und selbst die wenigen Polizeiautos, die in der Stadt unterwegs sind, sehen aus wie bei einem Chuck E. Cheese’s … Und dass man so wenig Polizei auf den Straßen sieht, weckt den Verdacht, um mit William Burroughs zu sprechen, dass die Menschen »den Polizisten verinnerlicht haben«.
    Und was wird passieren, wenn dieses Volk – was offenkundig sein Ziel ist – als »Intelligente Insel«

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