Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack
überhaupt sein muss, etwas, das entweder den Urknall ausgelöst hat oder auf den endgültigen jähen Absturz in die allumfassende Stille wartet. Am Ende aller Dinge steht der Hikaru Dorodango, eine perfekte Kugel von siebeneinhalb Zentimetern Durchmesser. In ihrem Herzen: das Undenkbare.
Das Geheimnis von Tokyu Hands ist, dass alles dort dem Status und der Perfektion eines Hikaru Dorodango entgegenstrebt. Straßenschuhe, die lange genug und mit ausreichender Hingabe mit einem teuren, importierten Schuhpflegemittel poliert werden, bilden irgendwann ein eigenes Universum, eine imaginäre Kugel, deren Glanz unendliche Tiefe besitzt.
Und ebenso wird ein Leben in Stille und Einsamkeit zu einer Art Kugel, die kaum weniger perfekt ist.
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Für das Tate Magazine zu schreiben gab mir ein ungewohntes Gefühl von Sicherheit, beinahe schon Vertrautheit. Mit dem Resultat, dass ich mir irgendwie wünschte, ich hätte aus diesem Artikel einen Roman gemacht.
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Vorwort zu »Labyrinths« von Jorge Luis Borges
2007
Als ich »Labyrinths« von Jorge Luis Borges zum ersten Mal las, saß ich auf einem Sessel, der mit einem glatten, salatgrünen Brokatstoff bezogen war. Darauf war ein Muster von Blättern, die ebenfalls an Salat erinnerten oder vielleicht auch an Wolken oder Kaninchen. Der Sessel, mir schon seit frühester Kindheit vertraut, war für mich eine eigene Welt – der einzig sichere Ort in einem Zimmer, das mir ansonsten bedrohlich erwachsen und steif erschien. Der Raum wurde von großen, dunklen Möbelstücken dominiert, die der Familie meiner Mutter gehört hatten. Darunter befand sich ein unnatürlich hoher Sekretär mit einem Bücherregal, an dem sich zwei große, massive Türen befanden. In der Familie hielt sich das Gerücht, er habe einst Francis Marion gehört, einem Helden des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges. Seine unteren Schubfächer rochen erschreckend und beinahe chemisch nach Vergangenheit und enthielten eng bedruckte Schriftrollen mit den Namen von Männern aus der Gegend, die im Ersten Weltkrieg gefallen waren.
Insgeheim war ich überzeugt, dass der Sekretär von den Geistern der Verstorbenen heimgesucht wurde, auch wenn ich mir das nie offen eingestanden hätte.
Borges entdeckte ich ursprünglich in einer experimentierfreudigen Science-Fiction-Anthologie, in der seine Erzählung »Die kreisförmigen Ruinen« enthalten war. Die Geschichte machte mich so neugierig, dass ich mir Labyrinths vornahm. Ich stelle mir vor, dass das Buch damals nicht ganz leicht aufzutreibenwar, erinnere mich aber nicht genau, wie ich es bekommen habe.
Woran ich mich allerdings noch sehr gut erinnere, sind die komplexen und zugleich unglaublich schlichten Empfindungen, die mich beim Lesen von »Tlön, Uqbar, Orbis Tertius« in dem grünen Sessel bestürmten.
Hätte ich damals schon gewusst, was Software ist, hätte ich vermutlich das Gefühl gehabt, etwas zu installieren, das meine Bandbreite – wie es später genannt werden sollte – exponentiell erweiterte. Diese erhabene und von einem kosmischen Humor erfüllte Geschichte, in der beschrieben wird, wie reine Information (d. h. das Fiktive) schrittweise und unaufhaltsam das Alltägliche infiltriert und es schließlich vollkommen vereinnahmt, öffnete etwas in meinem Inneren, das sich bis jetzt nicht wieder geschlossen hat.
Oder vielleicht fand diese Öffnung auch außerhalb meiner selbst statt, während ich hungrig und begeistert zusah, wie sich Borges’ charakteristisches Spiegelkabinett vor mir ausbreitete. Jahrzehnte später ist der Begriff »Mem« für mich gleichbedeutend mit Tlöns viraler Botschaft geworden, die ihren Ursprung in ein paar mysteriösen zusätzlichen Seiten in dem sonst nicht weiter bemerkenswerten Band einer Enzyklopädie hat.
Werke, die einem so lange in Erinnerung bleiben, sind wahre Meilensteine des Lebens. Labyrinths war für mich aber noch mehr als das, wie ich schon damals als Jugendlicher begriff. Den Beweis dafür erhielt ich am selben Nachmittag, an dem ich »Tlön« fertig gelesen hatte. (Wenngleich man mit »Tlön« oder den anderen Erzählungen von Borges eigentlich nie ganz fertig wird.) Nachdem ich den »Garten der Pfade, die sich verzweigen« durchwandelt und voller Ehrfurcht über »Pierre Menard, Autor des Quijote« gerätselt hatte, stellte ich fest, dass Francis Marions hoher Sekretär seinen Schrecken für mich verloren hatte.
Borges, diese elegante und geheimnisvolle Stimme, die ich augenblicklich wie einen
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