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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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mit Ihnen reden will.«
    »Mit Ihnen wollte sie aber offenbar reden. Wieviel kann sie Ihnen schon gesagt haben? Sie beide stehen sich, soweit mir bekannt ist, nicht eben nah.«
    »Wenn Sie beide sich so verdammt nahestanden, warum hat sie dann mit einem anderen Mann geschlafen?« sagte Noboru Wataya. Malta Kano gab ein kleines Hüsteln von sich.
    Noboru Wataya fuhr fort: »Kumiko hat mir gesagt, daß sie ein Verhältnis mit einem anderen Mann hat. Sie hat gesagt, sie möchte alles ein für allemal regeln. Ich habe ihr geraten, sich von Ihnen scheiden zu lassen. Sie hat gesagt, sie würde es sich überlegen.«
    »Ist das alles?«
    »Was sollte sonst noch sein?«
    »Ich begreif’s einfach nicht«, sagte ich. »Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß Kumiko sich wegen etwas so Wichtigem an Sie wenden würde. Sie sind der letzte Mensch, den sie in einer solchen Angelegenheit um Rat fragen würde. Sie würde entweder die Sache mit sich selbst ausmachen oder direkt mit mir reden. Sie muß Ihnen sonst noch etwas gesagt haben. Wenn sie unbedingt mit Ihnen persönlich reden wollte, dann muß es sich dabei um etwas anderes gedreht haben.«
    Noboru Wataya ließ zu, daß die blasseste Spur eines Lächelns um seine Lippen spielte - ein dünnes kaltes Lächeln, wie eine Mondsichel, die am morgengrauen Himmel hängt. »Das meint man, wenn man sagt, jemand lasse sich die Wahrheit entschlüpfen«, sagte er leise, aber deutlich vernehmbar.
    »Sich die Wahrheit entschlüpfen lassen«, sagte ich, um den Ausdruck selbst auszuprobieren.
    »Sie verstehen sicherlich, was ich meine«, sagte er. »Ihre Frau schläft mit einem anderen Mann. Sie läßt Sie sitzen. Und dann versuchen Sie, jemand andern zum Sündenbock zu machen. Ich habe noch nie etwas so Idiotisches gehört. Hören Sie, ich bin nicht zu meinem Vergnügen hergekommen. Ich mußte es tun. Für mich ist es schlicht Zeitvergeudung. Ich könnte meine Zeit genausogut wegwerfen.«
    Als er zu Ende geredet hatte, senkte sich tiefes Schweigen über den Tisch. »Kennen Sie die Geschichte von den Affen der beschissenen Insel?« fragte ich Noboru Wataya.
    Er schüttelte den Kopf, ohne das geringste Interesse zu verraten. »Nie davon gehört.«
    »Irgendwo, weit, weit weg, liegt eine beschissene Insel. Eine Insel ohne Namen. Eine Insel, die gar keinen Namen verdient. Eine beschissene Insel von beschissener Form. Auf dieser beschissenen Insel wachsen Palmen, die gleichfalls eine beschissene Form haben. Und auf den Palmen wachsen Kokosnüsse, die einen beschissenen Geruch verströmen. In den Bäumen leben beschissene Affen, und die fressen für ihr Leben gern diese beschissen riechenden Kokosnüsse, worauf sie die stinkendste Scheiße der Welt scheißen. Die Scheiße fällt auf den Boden und bildet beschissene Scheißhügel, wodurch die beschissenen Palmen, die auf ihnen wachsen, noch beschissener werden. Es ist ein endloser Kreislauf.« Ich trank meinen Kaffee aus.
    »Wie ich hier saß und Sie ansah«, fuhr ich fort, »fiel mir plötzlich die Geschichte von dieser Scheißinsel ein. Und damit will ich sagen: Eine bestimmte Art von Beschissenheit, eine bestimmte Art von Stagnation, eine bestimmte Art von Finsternis pflanzt sich aus eigener Kraft in einem eigenen geschlossenen Kreislauf immer weiter fort. Und sobald diese Beschissenheit einen bestimmten Punkt überschritten hat, kann sie niemand mehr aufhalten - nicht einmal der Betroffene selbst.«
    Noboru Watayas Gesicht zeigte keinerlei Ausdruck. Das Lächeln war verschwunden, aber kein Anflug von Verärgerung war zu erkennen. Ich sah lediglich eine kleine Falte zwischen seinen Augenbrauen, und ich konnte mich nicht erinnern, ob sie schon vorher dagewesen war.
    »Verstehen Sie, worauf ich hinauswill, Herr Wataya?« fuhr ich fort. »Ich weiß genau, was für eine Sorte Mensch Sie sind. Sie sagen, ich sei Müll oder Schrott. Und Sie bilden sich ein, Sie könnten mich zerschmettern, wann immer Sie die Lust dazu anwandelte. Aber die Sache liegt nicht ganz so einfach. Nach Ihren Wertmaßstäben mag ich von mir aus nichts anderes als Müll und Schrott sein. Aber ich bin nicht so dumm, wie Sie glauben. Ich weiß genau, was Sie unter dieser glatten Fernsehmaske verstecken. Ich kenne Ihr Geheimnis. Kumiko kennt es, und ich kenne es: Wir wissen beide, was dahintersteckt. Wenn ich wollte, könnte ich es der ganzen Welt erzählen. Ich könnte es ans Licht bringen. Es würde vielleicht einige Zeit erfordern, aber ich könnte es tun. Ich mag

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