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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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ein Niemand sein, aber zumindest bin ich kein Sandsack. Ich bin ein Mensch aus Fleisch und Blut. Wenn man mich schlägt, schlage ich zurück. Vergessen Sie das besser nicht.« Noboru Wataya fuhr fort, mich mit diesem ausdruckslosen Gesicht anzustarren - einem Gesicht wie ein im leeren Raum schwebender Felsklotz. Was ich zu ihm gesagt hatte, war fast reiner Bluff. Ich kannte Noboru Watayas Geheimnis nicht. Daß etwas zutiefst Abnormes in ihm steckte, war nicht schwer zu erraten. Aber um was genau es sich dabei handelte, hätte ich absolut nicht sagen können. Dennoch schienen meine Worte irgendeine empfindliche Stelle getroffen zu haben. Ich konnte ihm die Wirkung vom Gesicht ablesen. Er reagierte nicht so, wie er es bei seinen Fernsehdiskussionen zu tun pflegte: weder tat er meine Worte mit einer süffisanten Bemerkung ab noch versuchte er, mich durch eine messerscharfe Argumentation zu Fall zu bringen oder durch eine brillante Eröffnung zu blenden. Er saß stumm da, ohne einen Muskel zu bewegen.
    Dann begann sich in Noboru Watayas Gesicht eine äußerst merkwürdige Veränderung abzuzeichnen. Nach und nach wurde er rot. Aber dieses Rotwerden vollzog sich auf die absurdeste Weise, die man sich vorstellen kann. Manche Stellen wurden dunkelrot, während andere nur leicht erröteten, und der Rest schien eine gespenstische Blässe angenommen zu haben. Der Anblick ließ mich an einen buntscheckigen Herbstwald denken, in dem laubabwerfende und immergrüne Bäume durcheinander wachsen.
    Schließlich stand Noboru Wataya wortlos auf, zog seine Sonnenbrille aus der Tasche und setzte sie auf. Sein Gesicht war noch immer mit diesen seltsamen Farbklecksen bedeckt. Sie sahen jetzt fast wie eine bleibende Zeichnung aus. Malta Kano blieb vollkommen reglos sitzen und sagte nichts. Ich selbst legte eine völlig unbeteiligte Miene an den Tag. Noboru Wataya schien etwas zu mir sagen zu wollen, entschied sich dann aber offenbar dagegen. Wortlos entfernte er sich und verschwand in der Menge.
     
    Danach sagten Malta Kano und ich eine Zeitlang nichts. Ich fühlte mich ausgelaugt. Der Kellner kam und wollte mir Kaffee nachschenken, aber ich schickte ihn weg. Malta Kano hob ihren roten Hut vom Tisch auf und starrte ihn minutenlang an, bevor sie ihn auf den Stuhl neben sich legte.
    Ich hatte einen bitteren Geschmack im Mund. Ich versuchte, ihn mit Eistee hinunterzuspülen, aber das half nichts.
    Nach einer Weile ergriff Malta Kano dann das Wort. »Gefühle müssen manchmal herausgelassen werden. Andernfalls kann der Fluß innen ins Stocken geraten. Ich bin sicher, jetzt, wo Sie gesagt haben, was Sie sagen wollten, fühlen Sie sich besser.«
    »Ein wenig«, sagte ich. »Aber dadurch ist nichts klarer geworden. Es hat nichts entschieden.«
    »Sie mögen Herrn Wataya nicht, Herr Okada, nicht wahr?«
    »Jedesmal, wenn ich mit dem Kerl rede, bekomme ich dieses Gefühl von unglaublicher innerer Leere. Jeder einzelne Gegenstand im Raum fängt an, so auszusehen, als habe er keinerlei Substanz. Alles wirkt hohl. Woran das eigentlich liegt, könnte ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen. Aber dieses Gefühl bewirkt, daß ich am Ende Dinge sage und tue, die mir einfach nicht entsprechen. Und anschließend fühle ich mich entsetzlich. Nichts würde mich glücklicher machen, als wenn ich es einrichten könnte, daß ich ihn nie wiedersehe.« Malta Kano schüttelte den Kopf. »Leider wird es nicht zu umgehen sein, daß Sie Herrn Wataya noch häufig begegnen. Sie werden es nicht vermeiden können.« Sie hatte wahrscheinlich recht. So einfach konnte ich ihn nicht aus meinem Leben verbannen.
    Ich hob mein Glas und trank noch einen Schluck Wasser. Wo kam dieser fürchterliche Geschmack nur her?
    »Da ist nur noch eins, was ich Sie fragen möchte«, sagte ich. »Auf wessen Seite stehen Sie eigentlich? Auf Noboru Watayas Seite oder auf meiner?« Malta Kano stützte die Ellenbogen auf den Tisch und legte die Hände vor dem Gesicht flach aneinander. »Weder noch«, sagte sie. »In diesem Fall gibt es keine Seiten. Es existieren einfach keine. Das ist keine Sache von der Art, die ein Oben und ein Unten, ein Rechts und ein Links, eine Vorder- und eine Rückseite haben, Herr Okada.«
    »Klingt wie Zen«, sagte ich. »An sich ein ganz interessantes Denksystem, aber kaum dazu geeignet, irgend etwas zu erklären.«
    Sie nickte. Jetzt nahm sie die aneinandergepreßten Handflächen zehn Zentimeter auseinander und richtete sie wie die Flügel einer sich öffnenden Tür

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