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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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verschwunden ist. Deswegen bin ich hier. Allein. Ich weiß nicht, wer Sie sind, aber Sie haben so etwas wie einen Schlüssel in der Hand. Habe ich recht?«
    »Kreta Kano?« fragte die Frau in vorsichtigem Ton. »Nie von ihr gehört. Ist sie auch hier?«
    »Ich weiß nicht, wo sie ist. Aber ich habe sie mehr als einmal hier getroffen.« Jeder Atemzug, den ich tat, war mit dem starken Geruch von Blumen befrachtet. Die Luft war dicht und schwer. Irgendwo in diesem Zimmer stand eine Vase voll Blumen. Irgendwo in dieser selben Dunkelheit atmeten sie, wiegten sich. In der blumenduftenden Dunkelheit schwand mein Körperempfinden dahin. Ich hatte das Gefühl, mich in ein winziges Insekt verwandelt zu haben. Jetzt kämpfte ich mich durch die Blütenblätter einer riesigen Blume. Klebriger Nektar, Pollen und weiche Haare erwarteten mich. Sie bedurften meines Eindringens, meines Daseins.
    »Als allererstes«, sagte ich zu der Frau, »möchte ich erfahren, wer Sie eigentlich sind. Sie sagen, ich kenne Sie, und ich habe mich mit allen Mitteln an Sie zu erinnern versucht, aber ohne jeden Erfolg. Wer sind Sie?«
    »Wer bin ich?« sprach mir die Frau nach wie ein Papagei, aber ohne jeden Hohn. »Ich möchte etwas trinken. Seien Sie so nett und machen Sie zwei on the rocks. Sie leisten mir doch Gesellschaft?«
    Ich ging zurück ins Wohnzimmer, öffnete die unangebrochene Flasche Whisky, tat Eis in die Gläser und goß zwei Drinks ein. So im Dunkeln nahm das einige Zeit in Anspruch. Ich trug die Drinks ins Schlafzimmer. Die Frau sagte, ich solle einen auf den Nachttisch stellen. »Und Sie setzen sich in den Sessel am Fußende des Bettes.«
    Ich tat wie geheißen: stellte ein Glas auf den Nachttisch und ließ mich, meinen Drink in der Hand, in einen Polstersessel sinken, der ein Stück von ihr entfernt stand. Meine Augen hatten sich vielleicht etwas mehr an die Dunkelheit gewöhnt; ich konnte Schatten erkennen, die sich undeutlich bewegten. Die Frau schien sich im Bett aufgesetzt zu haben. Dann verriet das Klimpern von Eis, daß sie trank. Auch ich nahm einen Schluck Whisky.
    Sie sprach lange kein Wort. Je länger das Schweigen andauerte, desto stärker schien der Blumengeruch zu werden. »Wollen Sie wirklich wissen, wer ich bin?« fragte die Frau. »Deswegen bin ich hier«, sagte ich, aber meine Stimme hallte in der Dunkelheit beklommen.
    »Sie sind eigens hierher gekommen, um meinen Namen zu erfahren?« Statt zu antworten, räusperte ich mich, aber auch dieses Geräusch erzeugte einen seltsamen Nachhall.
    Die Frau ließ das Eis in ihrem Glas ein paarmal klirren. »Sie möchten wissen, wie ich heiße«, sagte sie, »aber leider kann ich es Ihnen nicht sagen. Ich kenne Sie sehr gut. Sie kennen mich sehr gut. Aber ich kenne mich nicht.« Ich schüttelte in der Dunkelheit den Kopf. »Das kapier ich nicht. Und ich hab das Rätselraten satt. Ich brauche etwas Konkretes, etwas Greifbares. Fakten. Etwas, was ich als Hebel benutzen kann, um die Tür aufzustemmen. Das will ich.« Die Frau schien sich einen Seufzer aus dem Innersten ihres Körpers zu wringen. »Toru Okada, ich möchte, daß Sie meinen Namen herausfinden. Aber nein: Sie brauchen ihn ja gar nicht herauszufinden. Sie wissen ihn schon. Sie brauchen nichts anderes zu tun, als sich an ihn zu erinnern. Wenn Sie auf meinen Namen kommen dann kann ich diesen Ort verlassen. Dann kann ich Ihnen sogar helfen, Ihre Frau zu finden: Ihnen helfen, Kumiko Okada zu finden. Wenn Sie Ihre Frau finden wollen, dann strengen Sie sich an und sehen Sie zu, daß Sie meinen Namen herausfinden. Das ist der Hebel, den Sie benötigen. Sie haben keine Zeit, weiter im dunkeln zu tappen. Mit jedem Tag, an dem Sie ihn nicht herausfinden, rückt Kumiko Okada weiter von Ihnen ab.«
    Ich stellte mein Whiskyglas auf den Boden. »Sagen Sie mir eins«, sagte ich, »wo sind wir hier? Wie lang sind Sie schon hier? Was tun Sie hier?«
    »Sie müssen jetzt gehen«, sagte die Frau, als sei ihr plötzlich bewußt geworden, was sie da tat. »Wenn er Sie hier findet, gibt’s Ärger. Er ist noch gefährlicher, als Sie glauben. Er könnte Sie töten. Das würde ich ihm ohne weiteres zutrauen.«
    »Wer ist dieser ›er‹?«
    Die Frau gab keine Antwort, und ich wußte nichts weiter zu sagen. Ich war mit meiner Weisheit am Ende. Nichts rührte sich im Zimmer. Die Stille war tief und dicht und erstickend. Mein Kopf fühlte sich an, als hätte ich Fieber. Das konnte von den Pollen kommen. Mit der Luft vermischt, drangen die

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