Mister Aufziehvogel
ein lebendiges, denkendes Wesen zu sein, mit einem eigenen Willen. Es war ein sehr seltsames Gefühl. Seltsam und beunruhigend. Und dennoch wurde ich durch die Berührung seiner Finger sexuell erregt - zum ersten Mal in meinem Leben. Bis ich Prostituierte geworden war, hatte Sex mir nichts als Schmerzen bereitet. Der bloße Gedanke daran hatte mich mit Furcht erfüllt - Furcht vor den Schmerzen, die ich, wie ich wußte, würde erdulden müssen. Nachdem ich Prostituierte geworden war, geschah gerade das Gegenteil: Ich spürte überhaupt nichts. Ich hatte keine Schmerzen mehr, aber auch keine andere Empfindung. Ich seufzte und gab vor, erregt zu sein, um dem Freier Vergnügen zu bereiten, aber es war alles Theater, Teil meines Gewerbes. Als er mich allerdings berührte, waren meine Seufzer echt. Sie drangen aus den innersten Tiefen meines Körpers hervor. Ich merkte, daß etwas in mir angefangen hatte, sich zu bewegen, als verschiebe sich mein Schwerpunkt und wandere innerhalb meines Körpers erst hierhin, dann dorthin.
Schließlich hörte der Mann auf, seine Finger zu bewegen. Er ließ die Hände an meiner Taille liegen und schien nachzudenken. Durch seine Fingerspitzen hindurch spürte ich, daß er sich ins Gleichgewicht brachte, seine Atmung regulierte. Dann begann er, sich zu entkleiden. Ich hielt weiter die Augen geschlossen und das Gesicht im Kissen vergraben und wartete ab, was als nächstes käme. Als er nackt war, zog er mir Arme und Beine weit auseinander.
Im Zimmer war es fast beängstigend still. Das einzige Geräusch war das leise Rauschen der Klimaanlage. Der Mann selbst erzeugte fast keine wahrnehmbaren Geräusche; ich konnte ihn nicht einmal atmen hören. Er legte mir beide Hände flach auf den Rücken. Ich erschlaffte. Sein Penis berührte meine Gesäßbacken, war aber immer noch weich.
In diesem Augenblick klingelte das Telefon auf dem Nachttisch. Ich öffnete die Augen und drehte den Kopf zurück, um das Gesicht des Mannes zu sehen, aber er nahm offenbar keine Notiz vom Telefon. Es klingelte acht-, neunmal, dann verstummte es. Wieder wurde es im Zimmer vollkommen still.« Hier hielt Kreta Kano inne und atmete ein paarmal bewußt. Sie blieb stumm, die Augen auf ihre Hände gerichtet. »Es tut mir leid«, sagte sie, »aber hätten Sie etwas dagegen, wenn ich eine kleine Pause mache?«
»Ganz und gar nicht«, sagte ich. Ich goß mir Kaffee nach und nahm einen Schluck. Sie trank ihr kaltes Wasser. Gut zehn Minuten saßen wir da, ohne ein Wort zu sagen.
»Seine Finger setzten sich wieder in Bewegung und berührten jeden Winkel meines Körpers«, fuhr Kreta Kano fort, »ausnahmslos jeden Winkel. Ich verlor die Fähigkeit zu denken. Meine Ohren dröhnten vom Geräusch meines eigenen Herzens, das heftig, aber merkwürdig langsam schlug. Ich konnte nicht mehr an mich halten. Ich schrie laut auf, wieder und wieder, bei jeder seiner Liebkosungen. Ich versuchte, meine Stimme zu zügeln, aber sie gehorchte mir nicht: Jemand anders bediente sich ihrer, um zu stöhnen und zu schreien. Ich fühlte mich so, als hätte sich jede Schraube in meinem Körper gelöst. Dann, nach sehr langer Zeit, während ich weiterhin mit dem Gesicht nach unten lag, steckte er mir etwas von hinten hinein. Ich weiß bis heute nicht, was es war. Es war riesig und hart, aber es war nicht sein Penis - was das angeht, bin ich mir sicher. Und ich weiß noch, daß ich dachte, ich hätte recht gehabt: Er war tatsächlich impotent. Was immer er in mich hineinsteckte, es ließ mich zum ersten Mal seit meinem mißglückten Selbstmordversuch wieder Schmerz empfinden - wirklichen, intensiven Schmerz, der mir und niemandem sonst gehörte. Wie soll ich es formulieren? Der Schmerz war fast absurd intensiv, als reiße mein physisches Ich von innen heraus entzwei. Und doch, so grauenvoll es sich auch anfühlte, ich wand mich ebenso vor Wollust wie vor Schmerz. Lust und Schmerz waren eins - verstehen Sie, was ich meine? Der Schmerz beruhte auf Lust und die Lust auf Schmerz. Ich mußte beides als ein einziges, unteilbares Ganzes hinnehmen. Inmitten dieses Schmerzes und dieser Lust zerriß mein Fleisch immer mehr. Ich konnte nichts dagegen unternehmen. Dann geschah etwas höchst Unheimliches. Zwischen den zwei glatt auseinandergerissenen Hälften meines physischen Ichs kam ein Ding hervorgekrochen, das ich nie zuvor gesehen oder berührt hatte. Wie groß es war, konnte ich nicht erkennen, aber es war so naß und so glitschig wie ein neugeborenes Baby.
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