Mister Aufziehvogel
jetzt wollen wir ein bißchen mehr die Hände und weniger den Mund bewegen. Mir scheint, du bleibst zurück. « Deswegen flüstern wir alle nur miteinander wie die Einbrecher in der Nacht.
Die berieseln uns mit Musik. Der Musikstil variiert je nach der Tageszeit. Wenn Sie auf Barry Manilow oder Air Supply stehen, dann könnt’s Ihnen hier gefallen. Ich brauch ein paar Tage, um eine » meiner « Perücken fertigzustellen. Die genaue Zeit hängt natürlich von der Qualität des jeweiligen Objekts ab, aber grundsätzlich ist die Zeit, die man für die Herstellung einer Perücke braucht, in Tagen zu bemessen. Zuerst teilt man die Stoffhaut in Karos ein, und dann bepflanzt man ein Karo nach dem anderen mit Haaren. Das ist aber keine Fließbandarbeit, wie in der Fabrik im Charlie-Chaplin-Film, wo man eine Schraube anzieht, und schon kommt die nächste; jede Perücke ist » mein Werk « . Immer, wenn ich mit einer fertig bin, würde ich sie am liebsten signieren und das Datum drauf schreiben. Aber ich tu ’s natürlich nicht: die Bosse würden ausrasten. Trotzdem ist es ein hübsches Gefühl zu wissen, daß irgendwo da draußen auf der Welt jemand die Perücke auf dem Kopf hat, die ich gemacht habe. Das gibt mir ein Gefühl von, ich weiß nicht, Verbundenheit.
Aber das Leben ist schon merkwürdig. Wenn mir vor drei Jahren jemand gesagt hätte: » In drei Jahren wirst du in einer Fabrik in den Bergen sitzen und zusammen mit einem Haufen junger Landpomeranzen Perücken machen « , dann hätte ich ihm ins Gesicht gelacht. Ich hätt’s mir niemals vorstellen können. Und was die Frage angeht, was ich in weiteren drei Jahren tun werde: auch darauf weiß keiner die Antwort. Wissen Sie vielleicht, was Sie in drei Jahren tun werden, Mister Aufziehvogel? Ich bin sicher, Sie wissen s nicht. Was sag ich überhaupt: drei Jahre! Ich würde das ganze Geld, das ich hier verdient hab, darauf verwetten, daß Sie nicht mal wissen, was Sie in einem Monat tun werden! Die Mädchen hier wissen allerdings ganz genau, wo sie in drei Jahren sein werden. Oder zumindest meinen sie, daß sie das wissen. Sie meinen, daß sie das ganze Geld, das sie hier verdienen, sparen, nach ein paar Jahren den Richtigen finden und eine glückliche Ehe führen werden.
Die Typen, die diese Mädchen heiraten werden, sind größtenteils Bauernsöhne oder Jungs, die mal den Laden ihres Vaters erben werden, oder Jungs, die in einem der kleinen Betriebe hier in der Gegend arbeiten. Wie ich schon sagte, herrscht hier ein chronischer Mangel an jungen Frauen, deshalb gehen die weg wie die warmen Semmeln. Da müßte man schon ziemlich Pech haben, um sitzenzubleiben, und so finden sie früher oder später alle jemanden zum Heiraten. Das ist schon was. Und wie ich im letzten Brief gesagt hab, kündigen die meisten, wenn sie heiraten. Die Arbeit in der Perückenfabrik ist für sie nur eine Zwischenstation, eine Möglichkeit, die paar Jahre zwischen dem Ende der Schule und dem Heiraten zu überbrücken - wie ein Zimmer, wo sie reinkommen, ein Weilchen bleiben, und dann gehen.
Nicht nur stört das die Perückenfirma nicht; es scheint ihr sogar lieber zu sein, wenn die Mädchen nur ein paar Jahre hier arbeiten und, sobald sie heiraten, kündigen. Es ist ein ganzes Stück unkomplizierter, eine häufig wechselnde Belegschaft zu haben, als sich mit Lohnerhöhungen und Altersversorgung und Gewerkschaften und was weiß ich nicht alles rumärgern zu müssen. Um die paar Mädchen, die das Zeug zur Teamchefin haben, kümmert sich die Firma ein bißchen mehr, aber die anderen, gewöhnlichen Mädchen sind für sie einfach nur Verbrauchsmaterial. Deswegen besteht zwischen den Mädchen und der Firmenleitung die stillschweigende Übereinkunft, daß sie nach kurzer Zeit heiraten und gehen. Wenn sich die Mädchen also vorstellen sollen, was in drei Jahren sein wird, dann gibt’s nur zwei Möglichkeiten: Entweder werden sie dann noch hier arbeiten, während sie sich nach einem Gespons umtun, oder sie werden schon gekündigt haben, um zu heiraten. Simpler geht’s wohl kaum!
Es ist einfach keine da, die sich wie ich sagt: Ich weiß nicht, was in drei Jahren passieren wird. Sie sind allesamt fleißig und gewissenhaft. Keine schludert oder beklagt sich über die Arbeit. Gelegentlich hör ich die eine oder andere über das Essen in der Cafeteria meckern, aber das ist auch schon alles. Natürlich reden wir hier von Arbeit, also kann ’s unmöglich rund um die Uhr Spaß machen; kann schon
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