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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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sie auf einer Bauschuttdeponie gelandet, als man das Haus der Miyawakis im letzten Sommer abgerissen hatte? Ich dachte mit einer gewissen Wehmut an die Vogelplastik zurück. Ohne sie, fand ich, hatte der Garten etwas von seinem subtilen Gleichgewicht eingebüßt. Als mir gegen elf die Gedanken ausgingen, stieg ich über die stählerne Leiter in den Brunnen hinab. Auf dem Grund angelangt, atmete ich wie gewohnt ein paarmal tief durch, um die Luft zu prüfen. Sie war wie immer: mit einem leichten Modergeruch, aber sie ließ sich atmen. Ich tastete die Wand nach dem Schläger ab, den ich dort angelehnt zurückgelassen hatte. Er war nicht da. Weder da noch sonstwo. Er war verschwunden. Restlos. Spurlos.
     
    Ich ließ mich auf dem Boden des Brunnens nieder und lehnte mich seufzend an die Wand.
    Wer konnte den Schläger weggenommen haben? Zimt war der einzige, der in Frage kam. Er war der einzige Mensch, der überhaupt von dessen Existenz wußte, und er war wahrscheinlich auch der einzige, der auf die Idee gekommen wäre, in den Brunnen zu klettern. Aber was für einen Grund sollte er nur gehabt haben, den Schläger mitzunehmen? Ich begriff das nicht - eines von vielen Dingen, die ich nicht begriff.
    Ich hatte keine andere Wahl, als ohne Schläger weiterzumachen. Das würde auch gehen. Der Schläger war schließlich nur so etwas wie ein Talisman. Ich würde auch ohne ihn auskommen. Schließlich hatte ich ihn, als ich in dieses Zimmer reingekommen war, ja auch nicht dabeigehabt, oder? Nachdem ich mir diese Argumente angeboten hatte, betätigte ich den Seilzug, der den Brunnendeckel verschloß. Ich faltete die Hände auf den Knien und schloß in der Dunkelheit die Augen. So wie beim letzten Mal gelang es mir auch heute nicht, die erforderliche Konzentration zu erreichen. Alle möglichen Gedanken drängten sich mir ins Bewußtsein und versperrten mir den Weg. Um sie loszuwerden, versuchte ich, an das Schwimmbecken zu denken - an das Fünfundzwanzig-Meter-Becken des Hallenbads, in das ich regelmäßig zum Schwimmen ging. Ich stellte mir vor, wie ich da kraulend meine Bahnen zog. Ich lege es nicht auf Geschwindigkeit an, bemühe mich nur um ruhige, gleichmäßige, ausdauernde Züge. Ich ziehe die Ellbogen glatt, mit einem Mindestmaß an Geräusch und Gespritz, aus dem Wasser und tauche dann weich, die Finger zuerst, zum nächsten Zug ein. Ich nehme Wasser in den Mund auf und lasse es langsam wieder ausfließen, als atmete ich unter Wasser. Nach einer Weile spüre ich, daß mein Körper von selbst durch das Wasser gleitet, als reite er auf einer sanften Brise. Das einzige Geräusch, das meine Ohren erreicht, ist das Geräusch meiner gleichmäßigen Atmung. Ich schwebe mit dem Wind wie ein Vogel am Himmel, der auf die Erde hinabsieht. Ich sehe ferne Ortschaften, winzige Menschen und fließende Flüsse. Tiefe Ruhe umhüllt mich, ein fast ekstatisches Gefühl. Schwimmen ist eines der schönsten Dinge in meinem Leben. Es hat noch nie Probleme gelöst, aber es hat auch nie geschadet, und nichts hat mir je die Freude daran verderben können. Am Schwimmen. In diesem Moment hörte ich etwas.
    Mir wurde bewußt, daß ich ein leises, eintöniges Summen in der Dunkelheit hörte, etwa wie das Surren von Insektenflügeln. Aber das Geräusch war zu künstlich, zu mechanisch, um von Insektenflügeln stammen zu können. Es variierte leicht in seiner Frequenz, wie das Rauschen des Äthers, wenn man das Kurzwellenband absucht. Ich hielt lauschend den Atem an und versuchte zu erkennen, aus welcher Richtung es kam. Es schien aus einem bestimmten Punkt in der Dunkelheit zu kommen und gleichzeitig aus dem Inneren meines Kopfes. In der tiefen Dunkelheit war es fast unmöglich, die Trennlinie zwischen den beiden auszumachen. Während ich meine ganze Aufmerksamkeit auf das Geräusch konzentrierte, schlief ich ein. Bevor das geschah, hatte ich mich nicht im mindesten müde gefühlt. Ganz unvermittelt schlief ich, als sei ich, nichts Böses ahnend, einen Korridor entlanggegangen und sei dann plötzlich, ohne jede Vorwarnung, in ein mir unbekanntes Zimmer gezerrt worden. Wie lange diese zähe, schlammartige Ohnmacht mich umhüllte, hätte ich nicht sagen können. Sehr lange konnte es nicht gewesen sein. Aber als mich irgend etwas Spürbares wieder ins Bewußtsein holte, wußte ich, daß ich mich in einer anderen Dunkelheit befand. Die Luft war anders, die Temperatur war anders, die Qualität und Tiefe der Dunkelheit waren anders. Diese Dunkelheit war mit

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