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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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mongolischen Offizier. Der Mann nickte und bellte den Soldaten einen Befehl zu. Die trugen einige unbearbeitete Strünke herbei und machten sich daran, sie mit ihren Bajonetten zuzuspitzen, bis sie vier Pflöcke gewonnen hatten. Dann schritten sie ein großes Quadrat ab und rammten an dessen vier Ecken die Pflöcke mit Steinen in den Boden. Alle diese Vorbereitungen nahmen, wie ich schätzte, rund zwanzig Minuten in Anspruch, aber ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wozu sie dienen sollten.
    Der Russe sagte: »Für sie ist ein erlesenes Blutbad wie ein erlesenes Mahl. Je mehr Zeit sie sich für die Vorbereitungen lassen, desto genußreicher ist anschließend die eigentliche Sache. Einfach einen Mann zu töten ist kein Problem: ein Pistolenschuß, und es ist alles erledigt. Aber das wäre nicht« - und hier strich er sich mit der Fingerspitze langsam über sein glattes Kinn - »sehr interessant.« Sie banden Yamamoto los und führten ihn zum abgesteckten Bereich. Dort fesselten sie seine Arme und Beine an die vier Pflöcke. Yamamoto lag splitternackt auf dem Boden ausgespannt; an seinem Körper waren mehrere offene Wunden zu sehen.
    »Wie Sie wissen, sind diese Menschen Schäfer«, sagte der russische Offizier. »Und Schäfer ziehen aus ihren Schafen vielfältigen Nutzen: Sie essen ihr Fleisch, sie scheren ihre Wolle, sie nehmen ihnen die Haut ab. Für sie ist das Schaf das vollkommene Tier. Sie verbringen den ganzen Tag - ihr ganzes Leben - mit Schafen. Sie sind unglaublich geschickt darin, die Tiere zu häuten. Die Häute verarbeiten sie zu Zelten und Kleidungsstücken. Haben Sie jemals gesehen, wie sie ein Schaf abhäuten?«
    »Jetzt töten Sie mich schon und bringen Sie die Sache hinter sich«, sagte Yamamoto.
    Der Russe legte die Hände flach aneinander, und indem er sie sich langsam rieb, nickte er Yamamoto zu. »Nur keine Sorge«, sagte er. »Wir werden Sie ganz bestimmt töten. Das garantiere ich Ihnen. Es mag sich ein bißchen in die Länge ziehen, aber Sie werden sterben. In dem Punkt brauchen Sie sich wirklich keine Sorgen zu machen. Wir haben es nicht eilig. Wir sind in der unendlichen Steppe, es gibt hier nichts, soweit das Auge reicht. Nur Zeit. Alle Zeit der Welt. Alle Zeit, die wir brauchen. Und ich habe Ihnen noch viel zu erzählen. Jetzt zur eigentlichen Prozedur des Häutens: Jede nomadisierende Gruppe hat wenigstens einen Spezialisten - einen Profi, sozusagen -, der alles weiß, was es über das Häuten zu wissen gibt, einen Mann von fast unvorstellbarem Können. Wie er eine Haut abzieht, ist ein wahres Kunstwerk. Er tut es im Handumdrehen, so schnell und so geschickt, daß man meinen könnte, das Geschöpf, das da bei lebendigem Leib gehäutet wird, bekommt überhaupt nichts davon mit. Aber natürlich« - er holte wieder einmal das Zigarettenetui aus seiner Brusttasche, nahm es in die linke Hand und trommelte mit den Fingern der rechten darauf- »wäre es vollkommen unmöglich, so etwas nicht mitzubekommen. Wer bei lebendigem Leib gehäutet wird, leidet entsetzliche Schmerzen. Unvorstellbare Schmerzen. Und es dauert unglaublich lang, bis der Tod eintritt. Das Ende kommt schließlich durch die massiven Blutverluste, aber es braucht seine Zeit.«
    Er schnippte mit den Fingern. Der mongolische Offizier trat vor. Er griff in seine Manteltasche und zog ein Messer mit Scheide heraus. Es hatte dieselbe Form wie dasjenige, mit dem der Soldat die Geste des Halsabschneidens gemacht hatte. Er zog das Messer aus der Scheide und hielt es in die Höhe. Die Morgensonne ließ die Klinge in einem stumpfen weißen Glanz erstrahlen.
    »Dieser Mann ist einer von den Spezialisten, von denen ich gerade gesprochen habe«, sagte der russische Offizier. »Ich möchte, daß Sie sich sein Messer ansehen. Genau ansehen. Es ist ein ganz besonderes Messer, eigens zum Häuten entworfen und außerordentlich gut gearbeitet. Die Klinge ist so dünn und so scharf wie ein Rasiermesser. Und das technische Können, mit dem sich diese Leute ihrer Aufgabe entledigen, ist außerordentlich hoch. Schließlich ziehen sie seit Tausenden von Jahren Tieren die Haut ab. Sie können einem Mann die Haut abziehen, so wie Sie einen Pfirsich schälen würden. Wunderschön, ohne einen einzigen Kratzer. Rede ich Ihnen möglicherweise zu schnell?« Yamamoto sagte nichts.
    »Sie nehmen sich jeweils ein kleines Stück vor«, sagte der russische Offizier. »Sie müssen langsam vorgehen, wenn sie die Haut sauber, ohne Kratzer abbekommen wollen. Wenn Sie

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