Mister Medusa
sie gekommen waren. Eva schloss die Tür hinter sich, während Sigrid schon zum Fenster eilte und es mit einem heftigen Ruck aufzerrte. Die kühle Luft hatte freie Bahn und wehte in den Raum hinein.
Eva löste sich von der Tür. Es war das große Glück für die Frauen, dass sich unter dem Fenster das leicht schräge Dach der Veranda befand. Sie brauchten erst gar nicht zu springen. Ein langer Schritt nach draußen reichte schon aus, um den nötigen Halt auf dem Dach zu finden.
Sigrid war als Erste im Freien. Sie drückte sich in die Knie und streckte Eva die Hand entgegen.
»Lass mal, das schaffe ich schon.«
Während Eva nach draußen kletterte, bewegte sich Sigrid schon auf den Rand des Dachs zu. Sie musste vorsichtig sein und Acht geben, um nicht auf den feuchten Blättern auszurutschen, aber auch das schaffte sie.
Schließlich hockten beide Frauen am Dachrand und schauten in die Tiefe. Von unten sah alles so leicht aus, da war das Dach so wenig hoch. Das sah nun anders aus.
Vor ihren Mündern dampfte sichtbar der ausgestoßene Atem. Beide waren nervös. Sie lauschten auch in die Stille hinein, aber es war nichts zu hören, was sie hätte beunruhigen können. Jetzt war es schon so weit, dass ihnen die Stille nicht gefiel.
»Wir springen gemeinsam!«, flüsterte Eva. »Viel Glück... und jetzt!«
Beide stießen sich ab. Sie fielen in die Tiefe und erlebten den Aufprall. Er ging ihnen durch und durch. Doch keine von ihnen verstauchte sich einen Fuß oder zog sich eine Zerrung zu. Beide hatten den Sprung gut überstanden, und das gab ihnen Hoffnung.
Vor dem Haus war der Platz frei. Man hatte ihn von Bäumen gerodet, damit die Autos der Gäste ungestört parken konnten. Erst am anderen Ende begann wieder der Wald, der für sie im Moment das wichtigste Ziel war, denn zwischen den Bäumen boten sich ihnen zahlreiche Verstecke. Atemlos erreichten sie ihr Ziel und blieben dort stehen. Die Sicht auf das Haus war ihnen gestattet, umgekehrt würden sie nicht so schnell entdeckt werden können.
Beide sprachen zunächst nicht miteinander, sondern beobachteten das Haus.
Da passierte nichts. Sie hörten nichts mehr. Die Außentür blieb geschlossen, und das Haus lag in völliger Stille, als wäre es bereits vom Mantel des Todes umgeben.
»Das war grauenhaft«, flüsterte Eva Lund. »Du hast die Schreie ja nicht richtig gehört, aber ich bekam sie voll mit. So schreit man nur, wenn man nicht mehr lange zu leben hat.«
»Glaubst du wirklich?«
»Ja.«
Sigrid Gren nickte. »Okay, ich habe sie ja auch gehört. Wir sind nicht tot. Uns hat man nichts getan. Aber wir müssen etwas tun, Eva. Wir können nicht einfach hier stehen bleiben und nachschauen, bis...«
»Das ist klar. Wir müssen weg!«
»Mit dem Auto?«
»Vergiss es, Sigrid. Das würde auffallen. Bisher hat niemand bemerkt, dass wir verschwunden sind. Das soll auch so bleiben. Wir hauen ab, wir hauen einfach nur ab.«
»Und wohin?«
Eva grinste scharf, denn das konnte sie plötzlich wieder. »In den Wald, Sigrid, nur da sind wir sicher.«
»Vorläufig, Schätzchen.«
»Egal, wir verschwinden...«
Das taten sie auch. Und sie schauten auch nicht mehr zurück. Den Beweis hielten sie nicht in den Händen, aber sie glaubten schon daran, dass ihre Kolleginnen nicht mehr lebten, und wahrscheinlich war ihnen das gleiche Schicksal widerfahren wie Ellen Ascot...
***
Ich hatte den Anblick der drei versteinerten Frauen nicht vergessen und konnte mir vorstellen, was mich möglicherweise in der ersten Etage erwartete.
Es konnten weitere Leichen sein, aber ich musste auch damit rechnen, dass Mister Medusa sich noch im Haus befand. Ich glaubte auch nicht, dass sich Björn Karlsson geirrt hatte, was die seltsamen Geräusche anging.
Die Treppe war aus Holz gebaut, abgeschliffen und auch poliert worden. Selbst mit trockenen Sohlen bestand die Gefahr des Abrutschens, doch dagegen half der kratzige Teppichstreifen, der die Mitte der Stufen bedeckte. Wer sich darauf bewegte, hatte das Glück, normal gehen zu können.
Ich nahm diese Stufenmitte in Anspruch, schaute dabei immer wieder in die Höhe, um zu erfahren, ob sich über mir etwas bewegte. Leider tat sich dort nichts. Vielleicht auch zum Glück, denn wenn urplötzlich ein Mister Medusa vor mir stand und ich ihn frontal anschaute, hatte ich nichts mehr zu lachen. Der Wunsch, zu Stein zu werden, hielt sich bei mir in sehr engen Grenzen.
Die eigenen Laute hatte ich so gut wie möglich reduziert und lauschte nur in
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