Mister Medusa
stehen. Karlsson musste unten etwas gehört haben, denn ich vernahm wieder seine Stimme. Da zischte die Frage als Flüstern zu mir hoch.
»Alles noch in Ordnung, John?«
»Sicher.«
»Bleibst du noch?«
»Ich suche ihn.«
Karlsson schwieg. Möglicherweise hatte ihn meine Antwort geschockt, aber ich hatte ihm keine andere geben können.
Es war ein verdammter Job, jedes Zimmer durchsuchen zu müssen, doch mir blieb keine andere Wahl.
So dachte ich, aber es kam der Moment, als die Lage kippte. Zwei Zimmer weiter und auch auf der linken Seite wurde die Tür aufgestoßen. Ich bekam es rechtzeitig genug mit, riskierte trotzdem den Blick über den Spiegelrand hinweg und sah eine düster wirkende Gestalt, die völlig nackt war, in den Flur hineintreten.
Ob sich auf dem Kopf statt der Haare Schlangen ringelten, war auf die Schnelle nicht zu erkennen. Das wollte ich auch nicht sehen, denn ich musste zunächst etwas anderes tun.
Ich drehte mich zur Seite und hielt den Spiegel etwas von meinem Körper entfernt. So konnte ich auf die Fläche schauen, ohne den anderen anblicken zu müssen.
Ich sah ihn trotzdem.
Und ich sah die schwarzgrünen Schlangen auf seinem Kopf!
***
Er war es! Daran gab es keinen Zweifel. Ich hatte Mister Medusa gefunden, und ich erlebte wieder eine Szene, bei der man den Eindruck haben konnte, dass die Zeit nicht mehr weiter lief. Sie war einfach stehen geblieben, als hätte Suko das Wort ›Topar‹ gerufen, um jeden Bewegungsablauf für die Dauer von fünf Sekunden zu stoppen.
Mister Medusa war groß, kräftig und besaß einen sehnigen und muskulösen Körper. Er war ein Mensch, aber er wirkte hier wie ein Tier, das seine Höhle verlassen hatte.
Es mochte an den Schlangen liegen, dass sein Gesicht einen so indianisch anmutenden Ausdruck bekommen hatte. Zwei starre und auch dunkle Augen, allerdings eine breite Nase und ein ebenfalls breiter Mund mit sehr dicken Lippen, die ebenso gut zwei Schlangen hätten sein können. Das Kinn zeigte eine relativ weiche Form und war dabei etwas nach oben gezogen, so dass es schon fast die Unterlippe berührte.
Die Arme hingen bewegungslos an den Körperseiten entlang nach unten, die Finger der Hände waren gestreckt. Er trug kein Schmuckstück am gesamten Körper. Er war auch nicht bemalt oder tätowiert. Seine Haut sah glatt aus und glänzte leicht, als hätte er sie eingerieben.
Er war der Böse. Er war der Grausame, der kein Pardon kannte, auch nicht gegen mich. Es reichte ihm nicht aus, dass er bereits vier Frauen hatte versteinern lassen. Jetzt wollte er noch ein fünftes Opfer, und das war ich.
Die Schlangen wuchsen als grünlich schwarze Masse auf seinem Kopf. Sie bildeten in der Mitte ein regelrechtes Knäuel, nur an den Seiten streckten sie sich in die verschiedenen Richtungen weg. Ihre Mäuler öffneten sich, dann huschten die gespaltenen Zungen hervor, und Mister Medusa selbst fing an zu grinsen.
Für mich war es das Zeichen, dass er angreifen wollte.
Und er griff an.
Blitzschnell und mit aller Kraft!
***
Eva Lund und Sigrid Gren rannten, als wäre der Leibhaftige persönlich hinter ihnen her. Sie waren in den Wald hineingelaufen und hatten auch nicht darauf geachtet, wohin sie rannten. Wichtig war es ihnen, dass sie der Nähe des Hauses entwischten und somit dem Bösen.
Der Wald um sie herum schien zu tanzen. Er hüpfte auf und ab, er drehte sich, er raschelte, er keuchte, er schlug um sich, und ihnen fiel kaum auf, dass sie es waren, die die meisten Geräusche machten.
Auf dem Boden lag das feuchte Laub wie ein rutschiger Teppich. Unterholz griff mit zahlreichen Armen nach ihnen, aber sie rissen sich immer wieder frei und rannten weiter.
Bis Eva Lund sich vertrat. Ein Schrei löste sich aus ihrem Mund. Sie warf die Arme hoch, während sie zugleich den Kontakt mit dem Boden verlor, auf dem Rücken landete und auf dem glatten Laubteppich weiterrutschte, bis sie von einer Baumwurzel gestoppt wurde und sich noch den rechten Ellbogen stieß. Es war ihr gar nicht aufgefallen, dass sie sich während der Rutschpartie gedreht hatte.
Sigrid war weitergelaufen. Erst als sie den Schrei ihrer Freundin hörte, war auch sie alarmiert und drehte sich um.
Die Hektik der Flucht hatte auch bei ihr Spuren hinterlassen. Im ersten Moment war sie nicht in der Lage, sich zurechtzufinden. Sie schüttelte den Kopf, spürte in der Brust Stiche und hatte leichte Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu halten. Atmen konnte sie auch nicht mehr, nur noch keuchen,
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