Mister Peanut
er benimmt sich ganz anders. Bist du ein braver Junge?«
»Ja«, sagte Chip.
»Kannst du dich hinsetzen und still sein?«
Mit der Hilfe des Verkäufers setzte Chip sich wieder hin.
»Mein Sohn gehorcht seiner Mutter. Und du?«
Chip nickte.
»Kannst du still sein, solange du hier im Supermarkt bist?«
Jetzt nickte er noch nachdrücklicher, schließlich hatte er die Stimme verloren. Seine Wimpern waren verklebt und tränennass.
»Ja«, sagte Marilyn zu dem Verkäufer, »ich denke, das ist er.«
»Na schön«, sagte der Verkäufer und tätschelte Chips Kopf. »Und du hör schön auf deine Mommy.« Dann entfernte er sich.
Während sie an der Kasse in der Schlange stand, blätterte Marilyn in einem Kinomagazin mit Standbildern von Alfred Hitchcocks neuem Film Fenster zum Hof mit Grace Kelly und Jimmy Stewart. Der Regisseur begaffte Kelly und tat so, als wolle er sich von hinten anschleichen und sie erwürgen. Mein Gott, dachte Marilyn mit einem Blick auf Stewart, so sah der perfekte Mann aus. War er nicht gerade mit Anita Colby zusammen, die zuvor mit Clark Gable zusammen gewesen war? Wie schön für sie. Und Grace, dachte Marilyn, war so schön. Sie konnte sich erinnern, die Schauspielerin, die in natura sogar noch viel schöner war, vor vielen Jahren im Hollywood Tennis Club gesehen zu haben. Hatte sie sich nicht gerade von einem Kollegen scheiden lassen, dem aus Bei Anruf Mord – hieß er Ray Milland? Und hatte sie nicht ständig irgendeinen neuen Liebhaber? Grace Kelly schien wie ein Mann zu leben und wirkte dabei kein bisschen heruntergekommen. Vielleicht war es einfacher, als Marilyn vermutete. Ihr eigener Vater hatte sie verlassen. Nachdem ihre Mutter bei der Geburt ihres kleinen Bruders, einer Totgeburt, gestorben war, hatte ihr Vater sie unter dem Vorwand entsetzlichen Kummers zu ihrem Onkel Bud und ihrer Tante Mary abgeschoben. Vielleicht hatte er bloß seine Ruhe haben wollen. Oder vielleicht wollte er nach dem Tod seiner Frau die Gelegenheit nutzen, um noch einmal neu anzufangen? Waren nur die Männer so? Anscheinend verfügten sie auch nach der Geburt eines Kindes über eine Fähigkeit, die den Frauen meistens abhandenkam: einfach zu gehen. Sie betrachtete Chip. Natürlich konnte sie ihn nicht sitzen lassen. Und dennoch hatte sie den Eindruck, Sam provoziere sie ständig, er dränge sie förmlich dazu, ihn zu verlassen. Warum eigentlich? Damit nicht er die Schuld am Scheitern der Ehe trug?
»Hallo, Mrs. Sheppard.«
»Oh, hallo, Timothy.«
»Feiern Sie eine Party?«
»Ja, leider.«
»Das Feuerwerk heute Abend soll toll werden.«
»Ja, das habe ich auch gehört.«
»Hallo, Chip«, sagte der Kassierer.
Chip bat Marilyn mit einem Blick um Erlaubnis.
»Sag Hallo«, sagte sie.
»Hallo.«
»Timothy, wie spät ist es?«
»Viertel nach zwölf.«
»Könnten Sie kurz Chip im Auge behalten, während ich ein Telefonat erledige?«
Sie rief im Krankenhaus an und bat darum, mit Donna verbunden zu werden, die wusste, worum es ging, sobald Marilyn sich gemeldet hatte.
»Er hat die letzte OP verschoben«, sagte Donna, »und ist vor einer halben Stunde gegangen.«
Marilyn legte auf und starrte den schwarzen Telefonhörer an. Vor ihrem geistigen Auge sah sie Susan Hayes, wie sie in der Garage auf dem Beifahrersitz von Sams Auto saß und wartete.
Die Wahrheit war, dachte Marilyn, als sie dem Tütenträger zu ihrem Auto folgte, dass es töricht von ihr gewesen war zu glauben, Sam könne sich ändern – was aber in Ordnung war, denn immerhin hatten sie es versucht. Und nun, da sie offensichtlich gescheitert waren, würde sie ihrem Mann zeigen, dass sie sich sehr wohl ändern konnte. Indem sie sich einen anderen Mann ins Bett holt, beziehungsweise eine Reihe von anderen Männern. Sie würde es als eine Art Sport betrachten. Hatte er das nicht selbst gesagt, hatte er ihr nicht erklärt, es handele sich um eine Art von Sport? Sie könnte sich auf die Dick Eberlings und Don Aherns und Spen Houks einlassen, die allesamt ein Auge auf sie geworfen hatten, sie könnte Sam herausfordern, und dann würde sie ja sehen, wie sportlich er es nahm, wenn er der Betrogene war, wenn die Männer, die sich von ihm behandeln ließen, mit seiner Frau geschlafen hatten, wenn ihre Ehefrauen Bescheid wussten und sogar seine Krankenschwestern und alle Verkäufer in allen Geschäften.
Als sie wieder durch die Lake Road fuhr, entdeckte sie Dick Eberlings Lieferwagen vor dem Haus der Houks und dachte, warum nicht sofort damit
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