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Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Ross
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wühlte.
    »Dickie?«, rief Mrs. Bradford. »Komm rauf und mach mal Pause.«
    Oh ja, sie war geil. Sie wartete im Bett auf ihn, beide Arme gegen das hohe Kopfteil gelehnt, an dem sich auch der hohe Berg aus silbergrauem Haar auftürmte. Ins Holz war ein Flügelpaar geschnitzt, das direkt aus ihren Schultern zu wachsen schien, und der Drink an ihrem Bett war stets frisch zubereitet; das Glas war bereift und eine Kirsche unter den Eiswürfeln gefangen wie eine rote Pupille in einer braunen Iris, während ihre Zigarette auf dem leider unmöglich zu stehlenden, goldenen Aschenbecher auf dem Nachttisch vor sich hinqualmte. Aus Gründen der Zeitersparnis zog Mrs. Bradford sich gern vor ihm aus und lag schon wartend auf dem Laken, das er später pflichtbewusst waschen würde. Er stieg die Treppe hoch, den Blick auf die Galerie aus Friede-Freude-Eierkuchen-Familienfotos gerichtet, in denen Mutter, Vater, Sohn und Tochter einmütig nach rechts starrten, selbstverständlich mit einem Lächeln. Dabei hatte jede Ehe in jedem Haus, das Eberling je geputzt hatte, eine eigene Sorte Dreck produziert, so unverkennbar wie der Eigengeruch und so untilgbar wie die Essensgerüche, die sich im Laufe der Zeit in der Küche niederschlugen. Während er noch daran dachte, dass er in der nächsten Woche genau so zu Marilyns Schlafzimmer hinaufsteigen würde, zog ihm schon der Zigarettenqualm in die Nase. Er schmeckte das Nikotin und den Zucker in Mrs. Bradfords Mund und an ihrer langen, kühlen Zunge, roch die Überreste von Kirsche in ihrem Atem und sah den Lippenstiftfleck, der an ihrem Schneidezahn klebte wie getrocknetes Blut, und schon quoll das Geheimnis in ihm hoch, und seine Gedanken kehrten zu seinem Pflegeheim zurück, der Farm der Eberlings, wo er, nachdem er in fünf verschiedenen Familien untergebracht gewesen war, aufwuchs, und zu seiner Pflegemutter Christine, die nachts, wenn er schreiend aus einem Traum erwachte, zu ihm ins Bett schlüpfte und ihn im Arm hielt, bis er wieder einschlief, die mitten in der Nacht seinen Jungenkörper auf sich zog wie in einem Traum, wie in dem Traum, wo man denkt, die Person neben einem sei plötzlich jemand anderes, die mit dem Fuß seine Pyjamahose herunterzog, die Unterwäsche an ihre Zehen gekrallt, deren Nägel seine dünnen Beine zerkratzten, und die sich das Nachthemd hochschob, nach Eberlings Überzeugung immer noch gefangen in ihrem allerliebsten Traum, und flüsterte: »Langsam, langsam, langsam«, und die anschließend sein Gesicht zwischen ihre Hände nahm – Eberling fürchtete sich vor ihrer Kraft – und es sich zwischen die Beine drückte, so als gehöre sein Kopf nicht mehr zu seinem Körper, und ihn dort festhielt und auf und nieder schob, den Winkel und Abstand seiner ausgestreckten Zunge nachkorrigierend, die sie manchmal zwischen Daumen und Zeigefinger nahm, Christine, die ihm danach, scheinbar immer noch schlafend, mit der Hand über den Mund wischte und ihm ins Ohr flüsterte, er sei »klein und goldig«, auch wenn sie nie seinen Namen aussprach, und die sagte, er dürfe »alles tun«, was er nur wolle, was Eberling schließlich auf sein Leben bezog, er solle nur »keine Angst« haben, er sei ihr »kleiner Liebling«.
    Und dann: »Zieh deinen Pyjama wieder an.«
    Er schlief.
    Am Morgen stand sie immer vor ihm auf, um ihm das Frühstück zu machen. »Dickie, komm runter und iss etwas.«
    Es war Christines Schuld, dachte er jetzt. Nur ihretwegen war er nichts , kein Dr. Sam – aber er könnte einer werden. Noch war es nicht zu spät. Das Leben hielt Überraschungen bereit. Marilyn hatte es ihm bewiesen. Nächste Woche würde er ihr alles erzählen, und sie würde keine Angst haben. Das war die Lösung: eine zu finden, die keine Angst hatte und die an ihn glaubte. Er war überzeugt, diese Person in Marilyn gefunden zu haben. Er würde mit ihr reden und ihr sein Geheimnis verraten und sie ihm das ihre. Denn schließlich hatte jeder ein Geheimnis, oder etwa nicht?
    Als er bei den Bradfords fertig war, blieb ihm noch Zeit fürs Mittagessen, deswegen fuhr er zum Huntington Park zurück und parkte an derselben Stelle wie am Morgen. Soweit er es aus der Ferne beurteilen konnte, war bei den Sheppards niemand zu Hause, und plötzlich wurde er nervös, bekam Zweifel. Er hatte seine Schätze aus dem Overall und den Eimern geholt und auf dem Armaturenbrett zum Trocknen ausgelegt, und obwohl sie glitzerten und funkelten, erschienen sie ihm dürftig. Billig. Marilyn würde sie

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