Mister Peanut
drehte sich um und sah ihn herankommen.
»Sam?«, fragte sie.
»So«, sagte Möbius.
»So«, sagte Sheppard.
»Quid pro quo.«
Sheppard griff unter seinen Stuhl und zog das Manuskript heraus.
»Ist das die einzige Kopie?«
»Nein, aber es ist das Original.«
Sheppard schob es durch die Gitterstäbe. Möbius wägte das Gewicht der Seiten ab.
»Sie haben bis morgen früh Zeit, es zu lesen«, sagte Sheppard.
»Gut.«
»Und dann erzählen Sie mir alles, was ich über Alice Pepin wissen muss.«
»Was Sie über Alice Pepin wissen müssen, steht hier.«
»Nein«, widersprach Sheppard, »das Ende fehlt.«
»Kommt noch«, sagte Möbius.
Sheppard klappte seinen Stuhl zusammen und nahm ihn mit zum Ausgang, wo der Wachmann auf den Tür öffner drückte, um ihn hinauszulassen. »Er ist selbstmordgefährdet«, sagte Sheppard, »überprüfen Sie ihn alle zehn Minuten. Und lassen Sie sofort einen Arzt kommen. Lassen Sie die Verbände entfernen, und nehmen Sie ihm die Mullbinden weg. Ich möchte nicht, dass irgendetwas in der Zelle zurückbleibt, mit dem er sich verletzen kann. Holen Sie zwei Kollegen dazu, und filzen Sie ihn gründlich durch. Durchsuchen Sie seine Zelle noch einmal, und ziehen Sie das Bett ab. Er kriegt nicht einmal ein Laken für die Nacht. Er darf nichts behalten als das Manuskript, das er gerade liest.«
»Ja, Sir.«
Trotz dieser Anweisungen musste Sheppard den ganzen Tag an Möbius denken. Er rief wiederholt den Wachmann an, zweimal stieg er sogar persönlich in den Zellentrakt hinunter. Beide Male konnte er schon von Weitem Möbius’ Gelächter hören, und wenn er vor den Gitterstäben stand, sah er, wie der Gefangene mit Tränen in den Augen auf die Seite zeigte.
»Ich lach mich tot«, sagte er.
Ihn zu sehen beruhigte Sheppard. Man hatte Möbius’ Mullverbände durch ein Kunststoffpflaster ersetzt, und der Wärter hatte die Zelle sicherheitshalber dreimal durchsucht; als Sheppard am Abend anrief, erfuhr er, dass Möbius’ Abendessen ohne Zwischenfall verlaufen war. Er konnte ihn im Hintergrund gackern hören.
Er ging zu Bett. Zunächst schlief er unruhig, dann tauchte er in einen langen Traum ab, an dessen Details er sich nach dem Aufwachen genau erinnern konnte.
Er war wieder am Strand und verfolgte den Mörder seiner Frau. Aber der Mörder war Möbius, und seine Frau war Alice Pepin. Endlich konnte er den kleinen Mann überwältigen, aber er war bemerkenswert stark und so glitschig wie ein Fisch. Als Sheppard versuchte, ihn zu schlagen, traf sein Hieb ins Leere, und als er versuchte, ihn zu packen und festzuhalten, drehte Möbius den Griff um und warf ihn auf den Sand. Wieder war er überwältigt, Möbius war jetzt auf ihm, drückte ihm die Knie auf die Brust und zog die Faust bis ans Ohr zurück, um zum letzten Schlag auszuholen. Und bevor Sheppard aufwachte, bevor Möbius den Treffer landen konnte und alles ringsum schwarz wurde, fühlte er wieder die schreckliche Niederlage, weil er es weder geschafft hatte, seine Frau zu beschützen, noch, ihren Mörder zu überwältigen. Und damit hatte er sich irgendwie der Mittäterschaft schuldig gemacht.
Das Telefon.
Er knipste die Lampe auf dem Nachttisch an, rieb sich die Augen, sah auf die Uhr. Es war Viertel nach vier.
»Sir«, sagte der Wärter, »es ist wegen Möbius.«
»Was ist passiert?«
»Er ist tot.«
»Tot?« Sheppard setzte sich auf. »Wie das?«
»Erstickt.«
»Ich verstehe nicht.«
»Er hat sich verschluckt, Sir.«
»Woran?«
»Das kann ich nicht hundertprozentig sagen. Die Sanitäter sind noch bei ihm. Aber wie es aussieht, ist er an einer Manuskriptseite erstickt.«
A ber die Mitte, schrieb David, zieht sich schrecklich. Er meinte seinen Roman, und er meinte seine Ehe. Irgendwann war der Roman zu seiner Ehe geworden, beziehungsweise hatte der Roman seine Ehe aufgezehrt. Schlugen die echten Schriftsteller sich mit ähnlichen Problemen herum? Ganz bestimmt zählte David sich nicht dazu. Echte Schriftsteller zogen eine Grenze zwischen Leben und Literatur, oder? Sie konnten ihre Träume von ihrem Alltag unterscheiden. Gezwungenermaßen. Denn andernfalls wären sie niemals in der Lage, einen Spannungsbogen zu entwerfen oder ein Motiv zu entwickeln. Auf der Welle der Erzähllogik zu reiten, und zwar von der Dünung bis ans Ufer. Sein Buch hatte sich ganz anders entwickelt. Es erzählte keine Geschichte mehr. Es war zu ihm geworden. Zu Alice. Sie beide waren der Roman.
Sein Roman war der reinste
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