Mister Peanut
Gedenkgottesdienst abgehalten, damit die Schüler besser mit dem Verlust fertig werden. Benny Bartlett – sehen Sie den dunkelhaarigen Jungen da draußen?«
Hastroll sah hinaus. Auf dem Schulhof spielte Bartlett, ein dicklicher Teenager von höchstens vierzehn Jahren, mit einem anderen Jungen Basketball. Das Netz an den Körben bestand jeweils aus Metallketten.
»Nun ja, er hat beim Gottesdienst eine sehr bewegende Rede über sie gehalten«, sagte Ms. Fax. »Er hat erzählt, wie Ms. Pepin ihm die Uhr beigebracht hat.«
Er beobachtete den Jungen für eine Weile. Hastrolls Vater, ein dicker, unsportlicher Mann, hatte sich immer geweigert, mit ihm zu spielen, und Hastroll hatte sich geschworen, es besser zu machen, würde er jemals Kinder haben. »Warum besucht Benny diese Schule?«, fragte er.
»Oh, er ist furchtbar krank. Wurde sein ganzes bisheriges Leben hindurch misshandelt. Sein Onkel hat ihn jahrelang sexuell missbraucht. Seine Mutter ist auf Crack. Sein Vater nimmt Meth und hat sich aus dem Staub gemacht, als Benny drei war. Der Junge hat den IQ eines Drittklässlers. Außerdem hat er seine Schwester vergewaltigt.«
»Ich verstehe.«
»Aber er ist sehr lieb. Sehen Sie den anderen jungen Mann da draußen, den hübschen? Ralph Smiley?«
Hastroll drehte sich noch einmal zum Fenster um. Smiley nahm Bartlett den Ball ab, dribbelte, wirbelte herum und warf einen Korb.
»Auch er stand Alice nahe. Sie hat ihm bei einem sehr anspruchsvollen Referat über das Great Barrier Reef geholfen. Sie sollten ihn mal fragen.«
»Warum ist Ralph hier?«
»Weil er schon als Kleinkind soziopathische Tendenzen gezeigt hat. Er hat die Katzen und Hunde seiner Nachbarn getötet und zerstückelt und die Teile überall vergraben. Und er leidet unter selbstverletzendem Verhalten. Der Ärmste ritzt sich bei jeder sich nur bietenden Gelegenheit Arme und Geschlechtsteile auf. Die Narbengeschwüre ziehen sich von den Oberarmen bis an die Handgelenke. Aus dem Grund trägt er immer lange Ärmel. Sein armer, kleiner Penis sieht aus wie der Michelinmann.«
»Welche Fächer hat Alice unterrichtet?«
»Alle Hauptfächer und Sozialkunde. Ihr Schwerpunkt lag jedoch auf der Mathematik.«
»Haben Sie je ihren Mann kennengelernt?«
»David? Was für ein netter Kerl.«
»Hat sie jemals irgendwelche Eheprobleme erwähnt?«
»Nie.«
»Hat sie in den Wochen vor ihrem Tod einen depressiven Eindruck gemacht?«
»Depressiv?«
»In sich gekehrt«, sagte Hastroll, »zurückgezogen.«
»Nein, sie war sehr lebenslustig. Sie hat im letzten Jahr über siebzig Kilo abgenommen.«
»Danke, Ms. Fax.« Hastroll blieb in der Tür stehen. »Von wem stammt die Skulptur in der Ecke, wenn ich fragen darf?«
Fax wandte sich um und betrachtete die Skulptur. Drei bauchige Formen, die im gähnenden Hohlraum einer größeren Form eingeschlossen waren. Die Arbeit stach heraus. Sie schien vor Energie zu brummen. Das einzige Stück im ganzen Raum, das so etwas wie Talent erahnen ließ.
»Die ist von Alice«, sagte Ms. Fax. Sie schlug sich die Hand vor den Mund und fing zu weinen an. »Sie heißt Hunger .«
Hastroll ging zu Alice’ ehemaligem Klassenzimmer. An der Wand links neben der Tafel hing ihre Gewichtstabelle, ein in Wochen unterteilter Jahresüberblick mit aufgeklebten Grafikbalken aus rotem Tonpapier, die die verlorenen Kilos anzeigten und in die Höhe stiegen wie Treppenstufen (D U KANNST ES SCHAFFEN !, stand darüber). In einer Woche war es ein halbes, in der nächsten waren es vier, dann zweieinhalb, dann zwei. Beachtlich. In der Schublade des Lehrerpults lag ein Foto der Pepins, auf dem sie Arm in Arm auf einer Parkbank saßen. Alice war übergewichtig, und beide waren schwer verliebt, aber das Glas war in der Mitte des Bildrahmens gesprungen, so als habe jemand mit der Faust daraufgeschlagen. Hastroll nahm das Bild in die Hand und studierte es lange, bevor er die Schublade durchwühlte.
»Ärger«, sagte jemand.
Hastroll hob den Kopf. In der Tür stand eine Frau in einem Krankenschwesternkittel.
»Ich habe einen Riecher für Ärger. Ich kann ihn deutlich spüren, hier, in diesem Klassenzimmer.«
»Wer sind Sie?«, fragte Hastroll.
»Wer sind Sie ?«
Er zeigte seine Dienstmarke vor.
»Ich bin Schwester Ritter«, sagte sie. »Ich kümmere mich um die Schüler. Wenn man das ›kümmern‹ nennen kann, ich stelle die kleinen Monster mit Medikamenten ruhig.«
»Kannten Sie Ms. Pepin?«
»Nicht besonders gut«, sagte sie, »aber gut genug, um zu
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