Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Ross
Vom Netzwerk:
zu beugen und hinunterzuschauen. Er sah ihren Körper schon dort unten weiß und unberührt im Mondlicht liegen. Eigentlich, dachte er bei sich, kein schlechter Tod, und für einen Augenblick spielte er selbst mit dem Gedanken. Er stellte sich den freien Fall vor. Er konnte sich gut vorstellen, wie friedlich man sich dabei fühlte; wie lange würde der Sturz dauern? Er fragte sich auch, wie es wäre, ohne sie nach Hause zu kommen, ohne alles: der Rückflug, die Taxifahrt zum Apartment, die Tür aufzuschließen und einzutreten. Wie wäre es, nie wieder ihre Stimme zu hören? Wahrscheinlich sehr einsam, so viel konnte er aus dem Gefühl hochrechnen, das ihn im Moment quälte; eine Einsamkeit, die ihm vernichtend erschien und die er sich doch nicht wirklich vorstellen konnte. Wenn man jemanden tatsächlich liebte, dann konnte man sich nicht mehr daran erinnern, wie es gewesen war, sich nach der Liebe zu sehnen. Wenn man jemanden tatsächlich liebte, dann konnte man sich unmöglich vorstellen, wie es ohne den anderen wäre. Und was die Ankunft eines Kindes anging – man konnte sein Herz nicht darauf vorbereiten. Es gab nichts zu wissen, bis es so weit war. Alles war neu.
    Er ging hinunter, um Alice zu suchen. Die Läden hatten geschlossen, die Rollgitter waren heruntergelassen. In der Lobby stand eine Japanerin hinter dem Rezeptionstresen und erledigte Büroarbeiten. Sie sah David, lächelte viel zu strahlend für die späte Stunde – es war schon nach drei Uhr morgens – und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Ein Hawaiianer polierte den Fußboden. In der Lounge bereitete ein Angestellter die Kaffeemaschinen vor, füllte Zucker- und Milchvorräte auf und schob einen Wagen herum, der mit Tageszeitungen aus aller Welt beladen war. David trat auf die weite Terrasse hinaus, die auf die Delfinlagune hinausging, und entdeckte Alice weit unten auf einem der Wege.
    Sie stand an die Umzäunung des Delfinbeckens gelehnt und hatte das Kinn auf die verschränkten Unterarme gelegt. Er wusste, sie hörte ihn näher kommen, aber als er neben ihr stand, sagte sie nichts. Die Luft war feucht und kühl. Trotz der Dunkelheit konnte er die Gänsehaut an ihren Armen sehen. Er lehnte sich ebenfalls an den Zaun und wartete. Er traute sich nicht, sie zu umarmen. Hin und wieder kamen die Delfine an die Wasseroberfläche, graue Formen im schwarzen Wasser, die beim Ausatmen leise prusteten.
    »Ich glaube, ich kann nicht mehr zurück«, sagte sie.
    »Wohin?«
    »Nach Hause.«
    Kurz fragte er sich, ob die Tiere, die schon so lange in menschlicher Gesellschaft lebten, das ihnen entgegengebrachte Interesse erwiderten.
    »Könntest du hierbleiben?«, fragte er.
    »Ich glaube nicht.«
    »Wohin möchtest du?«
    »Ich weiß es nicht. Aber ich habe schreckliche Angst vor unserem Apartment. Ich habe geträumt, wir kämen nach Hause, und davon bin ich aufgewacht.«
    »Warum?«
    »Weil er noch in mir drin war, als wir es verlassen haben.«
    Sie schwiegen für eine Weile.
    »Nimmst du mich mit?«, fragte David.
    »Weiß ich noch nicht«, antwortete sie.
    Er spürte die Delfine vorbeiziehen, ein Energieimpuls, der nicht einmal die Wasseroberfläche bewegte, sah man von den winzigen Wellen ab, die im Nachstrom leise an die Steine der Beckenumfassung schlugen. Anscheinend durchbrachen die Tiere die Oberfläche nicht, sondern ließen sich die geschlossene Wasserdecke wie einen sanft schwebenden Vorhang über Kopf und Rücken gleiten. »Wie war es?«, fragte er.
    »Was?«
    »Schwanger zu sein.«
    »Wie meinst du das?«
    »Wie hat es sich angefühlt?«
    Er erinnerte sich an Haralds Rat, ihr zuzuhören. Natürlich konnte man das auf vielerlei Weise tun, beziehungsweise gab es natürlich unzählige Geräusche, denen man zuhören konnte: der träge schnaufende Hund, der darauf wartet, gerufen zu werden; die Stille in einem Zimmer nach einem Streit; die Geräusche in einem Stadion, wenn die Leute frühzeitig gehen, um die Niederlage nicht weiter mitansehen zu müssen; Spielzeug, das in einem Raum auf ein Kind wartet; das Buch im Regal, das einem zuflüstert. Er hörte, wie Alice sich entspannte, so als hielte das, was in ihrem Innern mahlte, für einen Augenblick inne.
    »Man fühlt sich, als sei man was Besonderes«, sagte sie. »Anders kann ich es nicht beschreiben. Aber es war, als wäre die Welt ein besserer Ort. Ich hatte etwas in mir, das mich lebendiger gemacht hat.«
    Wenn er Schwierigkeiten damit hatte, mit ihr zu reden, hatte sie Schwierigkeiten damit, ihn

Weitere Kostenlose Bücher