Mister Perfekt
weiß ich selbst nicht so genau.«
Er schnaubte. »Wahrscheinlich haben sie Angst bekommen. «
» Angst !« Aus einem unverständlichen Grund tat das ein bisschen weh. Sie spürte, wie ihre Unterlippe zu beben begann.
»So schlimm bin ich doch gar nicht, oder?«
»Schlimmer«, verkündete er fröhlich. »Du bist wie eine hochgezüchtete Rennmaschine. Hast du ein Glück, dass ich auf heiße Öfen stehe. Und wenn du jetzt deine Sachen richtig rum anziehst, dann würde ich dich zum Essen ausführen. Wie würde sich ein Hamburger anhören?«
»Für mich Chinesisch«, erwiderte sie, während sie durch den kurzen Gang in ihr Schlafzimmer verschwand.
»Das passt.«
Er hatte die Antwort halblaut vor sich hingebrummelt, doch sie hörte ihn trotzdem und lächelte, als sie die Schlafzimmertür zudrückte und den roten Sweater abstreifte.
Wenn er wirklich auf heiße Öfen stand, dann würde sie ihm zeigen, wie schnell sie abzischen konnte. Das Problem war nur, dass er sie irgendwann auch einholen musste.
16
Corin konnte nicht schlafen. Er stieg aus dem Bett, knipste das Licht im Bad an und starrte in den Spiegel, um sich zu überzeugen, dass er immer noch da war. Das Gesicht, das ihm entgegenblickte, war das eines anderen Menschen, doch die Augen wirkten vertraut. Diese Augen hatten ihn beinahe sein ganzes Leben lang angesehen, nur war er selbst manchmal nicht da, sodass sie ihn nicht finden konnten.
Ein Sortiment von braunen Medizinfläschchen stand der Größe nach aufgereiht auf seiner Kommode, damit er sie jeden Tag gleich beim Aufstehen sah und nicht vergaß, seine Medikamente einzunehmen. Inzwischen waren mehrere Tage vergangen - wie viele genau, konnte er nicht sagen -, seit er das letzte Mal seine Pillen genommen hatte. Jetzt konnte er sich sehen, doch wenn er die Pillen nahm, vernebelte sich sein Geist, und er verschwand hinter einem Schleier.
Es war besser, hatte man ihm eingebläut, wenn er versteckt hinter dem Schleier blieb. Die Pillen wirkten so gut, dass er manchmal seine Existenz vollkommen vergaß. Doch immer hatte er das Gefühl, dass irgendetwas nicht ganz stimmte, so als wäre das Universum irgendwie aus den Fugen gekippt. Endlich wusste er, was es war. Die Pillen mochten ihn unsichtbar machen, aber sie konnten ihn nicht auslöschen.
Seit er die Pillen nicht mehr nahm, hatte er nicht mehr schlafen können. O, er döste, aber richtigen Schlaf fand er nicht.
Manchmal hatte er das Gefühl, innerlich so zu zittern, dass sein Körper zu zerspringen drohte, doch wenn er seine Hände ausstreckte, waren sie vollkommen ruhig. War in den Pillen irgendein Sucht erregender Stoff? Hatte man ihn angelogen?
Auf gar keinen Fall wollte er drogenabhängig werden; Abhängigkeit war ein Zeichen von Schwäche, hatte seine Mutter ihm dauernd vorgehalten. Er durfte nie abhängig werden, weil er nie schwach werden durfte. Er musste stark sein, er musste perfekt sein.
Wie ein Echo hörte er ihre Stimme in seinem Kopf. »Mein perfekter kleiner Mann«, so hatte sie ihn genannt und dabei seine Wange gestreichelt.
Immer wenn er seine Mutter enttäuscht hatte, immer wenn er sich nicht perfekt verhalten hatte, wurde sie von einem so vernichtenden Zorn gepackt, dass seine Welt an den Nähten zu zerreißen drohte. Er hatte stets sein Bestes getan, um sie nicht zu enttäuschen, doch ein schreckliches Geheimnis hatte er vor ihr bewahrt: Manchmal hatte er absichtlich gegen ihre Regeln verstoßen, nur ein bisschen, damit sie ihn bestrafte. Selbst jetzt jagte ihm der Gedanke an diese Strafen einen Schauer über den Rücken. Sie wäre zutiefst enttäuscht gewesen, wenn sie von seiner klammheimlichen Lust gewusst hätte, darum hatte er diese Leidenschaft stets zu verheimlichen versucht.
Manchmal vermisste er sie geradezu unerträglich. Sie hatte zu jeder Zeit gewusst, was zu tun war.
Zum Beispiel hätte sie genau gewusst, was mit diesen vier Schlampen geschehen sollte, die sich in ihrer Liste über den perfekten Mann mokiert hatten. Als hätten sie eine Ahnung von Perfektion! Er kannte sich da aus. Seine Mutter hatte ihm alles beigebracht. Er hatte sich stets solche Mühe gegeben, ein perfekter kleiner Mann, ein perfekter Sohn zu sein, dennoch hatte er nie ihren Ansprüchen gerecht werden können, nicht einmal, wenn er nicht absichtlich gegen ihre Regeln verstoßen hatte, um bestraft zu werden. Ewig hatte er gespürt, dass er mit einem Makel behaftet war, den er nie korrigieren konnte, dass er seine Mutter einfach durch seine
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