Mister Perfekt
Existenz zutiefst enttäuschte.
Sie hielten sich für oberschlau, diese vier Schlampen - ihm gefiel diese Bezeichnung, die vier Schlampen, das hörte sich nach einer perversen altrömischen Gottheit an. Die Furien, die Grazien, die Schlampen. Sie hielten sich für so gerissen, nur weil sie sich hinter den Buchstaben A,B,C und D versteckten, statt ihre Namen zu verraten. Am erbittersten hasste er die eine, die gesagt hatte: »Wenn ein Mann nicht perfekt ist, muss er sich eben einfach mehr anstrengen.« Was wussten sie schon? Hatten sie je versucht, sich an einem Ideal zu messen, das so unerreichbar war, dass nur die wahre Perfektion ihm gerecht werden konnte, weshalb sie jeden einzelnen Tag ihres Lebens zum Scheitern verurteilt waren? Hatten sie das ?
Wussten sie vielleicht, wie es gewesen war, ständig das Beste zu geben und dabei genau zu wissen, dass er scheitern würde, bis er schließlich gelernt hatte, die Bestrafungen zu genießen, weil sie anders einfach nicht zu ertragen waren? Wussten sie das ?
Schlampen wie sie hatten es nicht verdient zu leben. Wieder begann er innerlich zu zittern und schlang die Arme um seinen Leib, um nicht zu zerbrechen. Sie waren schuld, dass er nicht schlafen konnte. Immerzu musste er an sie und an das denken, was sie von sich gegeben hatten.
Welche war es wohl gewesen? Vielleicht diese gebleichte Blondine, Marci Dean, die mit ihrem Arsch vor den Kerlen herumwackelte, als wäre sie eine Göttin und die Männer nichts als Hunde, die angehechelt kamen, wann immer es ihr gefiel? Er hatte gehört, dass sie mit jedem schlief, der sie haben wollte, aber dass die meiste Zeit die Männer nichts bei ihr zu melden hatten. Seine Mutter wäre schockiert über dieses flittchenhafte Benehmen.
» Manche Menschen haben es einfach nicht verdient zu leben .«
Er konnte sie in seinem Kopf flüstern hören, wie so oft, wenn er die Pillen nicht nahm. Nicht nur er verschwand, sobald er wie vorgeschrieben seine Medikamente nahm; auch seine Mutter verschwand. Vielleicht verschwanden sie ja gemeinsam. Er wusste es nicht, aber er hoffte es. Vielleicht bestrafte sie ihn dafür, dass er die Pillen nahm und sie verschwinden ließ.
Vielleicht nahm er gerade darum die Pillen, damit er mit seiner Mutter verschwinden konnte und...
Nein, so war es nicht. Wenn er die Pillen nahm, war es, als würde er überhaupt nicht existieren.
Er spürte, wie ihm der Gedanke entglitt. Er wusste nur, dass er die Pillen nicht nehmen wollte. Er wollte wissen, welches Weib welches war. Das klang so komisch, dass er den Satz ein paarmal wiederholte und leise in sich hineinlachte. Welches Weib welches war. Der Satz gefiel ihm.
Wo sie wohnten, wusste er. Er hatte ihre Adressen aus den Akten im Büro. Für jemanden, der sich damit auskannte, war das überhaupt kein Problem, und natürlich hatte kein Mensch Verdacht geschöpft.
Er würde zu ihr nach Hause fahren und herausfinden, ob sie diejenige war, die diese grässliche Dummheit von sich gegeben hatte. Er war ziemlich sicher, dass es Marci gewesen war. Er würde diesem blöden, gemeinen Luder eine Lektion erteilen.
Mutter wäre stolz auf ihn.
Marci war eine Nachteule, selbst unter der Woche. Sie brauchte nicht viel Schlaf, und auch wenn sie längst nicht mehr so ausgiebig feierte wie früher - will heißen, vor ihrem vierzigsten -, ging sie selten vor ein Uhr früh ins Bett. Sie sah gern alte Filme im Fernsehen an; sie las drei bis vier Bücher pro Woche; sie hatte sogar einen gewissen Gefallen am Sticken gefunden. Wenn sie zu ihrem Stickrahmen griff, musste sie lachen, denn was hätte besser bewiesen, dass das Partygirl von früher alt geworden war? Doch das Sticken befreite ihren Geist.
Wer brauchte schon Meditation, um innere Gelassenheit zu entwickeln, wenn sie denselben Effekt dadurch hervorrufen konnte, dass sie mit Nadel und Faden eine aufgedruckte Vorlage von bunten Kreuzen nachfuhr? Wenigstens hatte sie etwas vorzuweisen, wenn sie fertig mit einem Muster war.
In ihrer Jugend hatte sie eine Menge Dinge ausprobiert, die man nicht von ihr erwarten würde. Meditation. Yoga. Autosuggestion. Schließlich war sie zu der Erkenntnis gelangt, dass ein Bier genauso wirkte und dass ihr Inneres so heiter und gelassen war, wie es nur sein konnte. Sie war so, wie sie war.
Und wem das nicht gefiel, der konnte sie kreuzweise.
Normalerweise wären Brick und sie an einem Freitagabend durch die Bars gezogen, um ein bisschen zu tanzen und ein paar Bier zu zischen. Brick war ein
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