Misterioso
die Mangel gedreht und spuckte einen Zahn nach dem anderen aus. Der eine Arm hing schief im Gelenk, und er hatte höllische Schmerzen im Magen und im Unterleib. Ich wollte die Polizei und einen Krankenwagen rufen, aber er sagte: ›Nein. Er hatte vollkommen recht.‹ Das meinte der Kerl tatsächlich von dem Wahnsinnigen, der ihn da eben fast totgeschlagen hatte. Okay, dachte ich, soll mir recht sein, wenn wir die Polizei außen vor halten können, sonst ist nämlich die Nachtlizenz flöten. Ich half ihm, den schlimmsten Blutfluss zu stillen, und dann ging er einfach. Das war alles.«
»Das reicht ja wohl«, sagte Hjelm. »Wer ist dieser Anton?«
»Anton Rudström. Er war kurz vorher mit seinem Fitness-Schuppen, den er erst ein Jahr zuvor eröffnet hatte, Konkurs gegangen. Er hatte dafür einen Kredit aufgenommen, ohne irgendwelche Sicherheiten oder Bürgen, und konnte ihn nicht zurückzahlen. Sie wissen ja, wie das Ende der Achtziger war. Als Anton hier ausgerastet ist, hatte er gerade seine Trinkerkarriere begonnen. Inzwischen ist er Vollblutalkoholiker, einer der Penner, die vorm Spritladen rumhängen.«
»Dabei sieht er immer noch wie ein Bodybuilder aus«, sagte Hjelm und dachte über das Spiel der Zufälle nach.
Roger Hackzell, Kerstin Holm und Jorge Chavez sahen ihn fragend an.
»Stimmt«, sagte Hackzell. »Er sieht aus, als würde er immer noch trainieren.«
»Und der andere?« mischte Chavez sich ein. »Das Opfer? Wer war das?«
»Keine Ahnung. Ich habe ihn weder davor noch danach jemals gesehen. Ich glaube nicht, daß er hier aus der Stadt kam. Aber ein verteufelt guter Dartspieler war er, daran erinnere ich mich. Hat mehrere Stunden einfach nur Präzision geübt.«
Eine Rosita-Flasche machte die Runde. Er war der Jüngste und Größte auf der Bank.
»Ich dachte, Sie trinken nur Wodka«, sagte Hjelm.
Anton Rudström erkannte ihn augenblicklich wieder.
»Sieh einer an«, sagte er jovial. »Der Stockholmer mit der Kostprobe. Meine Herren, hier seht ihr den Mann vor euch, der mir eine kleine Flasche Wodka spendiert hat, damit ich noch mehr Wodka trinke.«
»Irre, ich dachte, das hättste dir nur ausgedacht«, nuschelte ein zahnloser älterer Mann und streckte Hjelm die Hand entgegen. »Ich stehe Ihnen jederzeit für eine Kostprobe zur Verfügung.«
»Heute keine Kostprobe«, sagte Hjelm und hielt seinen Dienstausweis hoch. »Macht euch woanders nützlich.«
Rudström wollte sich ebenfalls woanders nützlich machen, was ihm jedoch verwehrt wurde.
»Ich würde gern ein paar Details über die Schlägerei in der Kneipe Hackat und Malet hören. Frühjahr 1991«, sagte Hjelm und setzte sich neben ihn auf die Bank.
Chavez und Holm blieben stehen. Sie fühlten sich nicht besonders respekteinflößend neben dem riesigen Rudström.
»Davon weiß ich nichts«, antwortete er mürrisch.
»Wir sind nicht hier, um Sie deswegen festzunehmen. Es gab ja noch nicht mal eine Anzeige. Versuchen Sie einfach, so präzise wie möglich auf meine Fragen zu antworten, dann ist noch mehr als eine kleine Flasche Wodka drin, versprochen. Als erstes möchte ich wissen, warum Sie ausgerechnet Misterioso von Thelonious Monk hören wollten, als Sie den Mann nach Strich und Faden zusammengeschlagen haben?«
Anton Rudström dachte nach. Er musste durch mehrere Kubikmeter Ethanol tauchen, ehe er das andere Ufer erreichte.
»Ich kann mich ganz vage daran erinnern, dass ich fast einen Menschen totgeschlagen hätte. Danach ist es endgültig den Bach runtergegangen mit mir.«
»Sie hatten ein Fitness-Studio?« wagte Hjelm sich vor.
»Das Apollo«, kam es wie aus der Pistole geschossen. »Apollo Fitness. Scheiße.«
»Erzählen Sie.«
»Ahm, ja. Mal sehen ... Ich hatte jahrelang bei Carlos trainiert und am Ende sogar einen Job bei ihm. Und dann, eines Tages, kam ich mitten in der Stadt an einem schönen, leerstehenden Laden vorbei, klar, ein bisschen teuer, war davor ‘ne Boutique gewesen oder so. Na ja, jedenfalls hatte ich die spontane Eingebung, zur nächsten Bank zu gehen und zu fragen, ob ich einen Kredit kriegen würde, um da ein Fitness-Studio zu eröffnen. Das war eigentlich nur ‘ne Schnapsidee, ich hatte keine Sicherheiten und nix. Aber eine halbe Stunde später kam ich mit einem Riesenkredit in der Tasche aus der Bank. So lief das damals; man brauchte bloß hinzugehen und sich was zu leihen. Ich hab die edelsten Geräte angeschafft, die es gab, und ein richtiges Prachtstudio aufgebaut. Es war eigentlich von Anfang
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