Misterioso
Trepljovs Pistole an sich und leerte dessen Taschen aus, in denen sich außer Munition aus jener berühmt-berüchtigten Fabrik in Kasachstan auch eine Kassette fand. Er nahm das Geld, schloss die Eingangstür wieder ab und verließ die Bank auf demselben Weg, auf dem er sie betreten hatte, also durch den Personaleingang. Vor der Bank stand ein Lieferwagen mit estnischem Wodka, der darauf wartete, ausgeliefert zu werden. In dem Lieferwagen wartete Trepljovs Kompagnon, der zweite Igor, alias Alexander Brjusov, vergebens auf seinen Partner. Vielleicht folgte er ihm nach einer Weile, fand aber nur verschlossene Türen und einen leeren Schalterraum vor. Ein Mysterium. Zu dem Zeitpunkt hatte Göran Andersson bereits den Personalparkplatz auf der Rückseite verlassen. Vielleicht schob er die Kassette in die Autoanlage und bekam genau das Jazzstück zu hören, zu dem er ein paar Jahre zuvor so brutal geschunden worden war: unergründliches Spiel der Zufälle. Dahinter konnte nur eine höhere Macht stecken. Der merkwürdige Russe, der in seine Bank gestiefelt kam, als er selbst gerade radikal mit allem gebrochen hatte, was ihm bis dahin wichtig gewesen war, hatte ihn nicht nur mit einer Waffe ausgerüstet, sondern auch mit der nötigen Motivation in Form dieser Kassette. Das war einfach zuviel. In dem Moment verwandelte er sich in das Werkzeug einer höheren Macht, eines sozialen Rachefeldzugs, seiner eigenen und Anton Rudströms Rache. Er beschloss, sich den Aufsichtsrat irgendeiner Bank aus dem Jahr 1990 vorzunehmen, dem Jahr, in dem Anton Rudström so fahrlässig ein Riesendarlehen gewährt worden war; jenes Darlehen, in dessen Folge Andersson im Frühjahr 1991 im Hackat und Malet eine schreckliche Misshandlung erfahren hatte. Seine Wahl fiel zufällig auf die Sydbanken, hätte aber genauso gut jede andere schwedische Handelsbank treffen können. Aller Wahrscheinlichkeit nach begab Göran Andersson sich noch am fünfzehnten Februar nach Stockholm, unmittelbar nach dem Vorfall in der Bankfiliale in Algotsmäla, brachte einen Monat mit der Planung der ersten drei Morde zu und trat seine Karriere als Racheengel in der Nacht vom neunundzwanzigsten auf den dreißigsten März an. Nach den ersten drei Morden zog er sich in seinen Bau zurück, um die nächste Serie zu planen. In der sie sich momentan befanden. Göran Andersson war sehr zielstrebig, sehr konsequent, sehr geschädigt und sehr gefährlich. Er war jenseits von Gut und Böse.
Das Mysterium war gelöst. Aber der Nebel war noch da.
Misterioso.
Sie hielten vor einem kleinen Haus am Rand des Ortes, das still und friedlich in der Sonne lag. Die A-Gruppen-Mitglieder stiegen aus, der Polizeiwagen setzte seinen Weg fort.
Keiner von ihnen wollte als erster hineingehen zu der Frau, die das Kind des Machtmörders erwartete.
26
Die Unterseite der von feinen Rissen durchzogenen Decke aus Kumuluswolken leuchtete tieforange im Licht der untergehenden Frühsommersonne. Unendliche Mengen frisch gezupfter Wolkenbäusche tauchten die glatte Wasserfläche von Lilla Värtan und ganz Lidingö in ein magisches Dämmerlicht. Es schien, als wollte der Himmel sie mit übermenschlicher Kraft nach unten pressen. Gunnar Nyberg, der in seinem Dienstwagen über die Lidingöbrücke fuhr, dachte, dass er noch nie einen solchen Sonnenuntergang erlebt hatte.
Ein Moment zum Sterben, dachte er und versuchte, den Gedanken schnell wieder abzuschütteln.
Er war auf dem Weg zur Villa des Aufsichtsratsvorsitzenden Jacob Lidner in Mölna auf der Südspitze Lidingös, wo Arto Söderstedt Nachtwache schob und von seinem Platz im Wohnzimmer aus auf das Wasser schaute.
Gunnar Nyberg war momentan »arbeitslos« und hatte sich aus einem akuten Bedürfnis nach menschlicher Nähe heraus spontan entschlossen, Söderstedt bei seiner Nachtwache Gesellschaft zu leisten. Der Einsamkeitsschub hatte ihn ohne jede Vorwarnung überfallen und ihn in den unsäglich kitschigen Vorsommerabend hinausgetrieben. Die Schönheit auf der Lidingöbrücke raubte ihm fast den Atem.
Hinter der Brücke bog Nyberg rechts ab und folgte dem Södra Kungsvägen bis nach Mölna. Als er die Konturen von Lidners palastähnlicher Villa erblickte, hielt er an und parkte in gebührender Entfernung zur Auffahrt. Es war jetzt fast dunkel. Die kuriosen Wolkenformationen schimmerten nur noch schwach und würden in der knappen Minute, die er für den Weg bis zur Villa brauchte, vollständig verschwinden.
Er erreichte die Hecke, die den
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