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Mistreß Branican

Mistreß Branican

Titel: Mistreß Branican Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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zu ihm:
    »Zach, ich muß wissen, wer dieser junge Matrose ist… aus welcher Familie er stammt… seinen Geburtsort… Vielleicht ist er kein Engländer…
    – Das ist möglich, Mistreß, antwortete Zach Fren. Er kann auch ein Amerikaner sein. Wenn Sie es wünschen, werde ich bei dem Capitän Erkundigungen einziehen…
    – Nein, nein, Zach, ich werde Godfrey selbst fragen.«
    Dann hörte er, wie sie leise sagte:
    »Mein Kind, mein armer kleiner Wat, wäre jetzt gerade so alt!
    – Das fürchtete ich eben,« sagte Zach Fren zu sich, indem er seine Cajüte aufsuchte.
    Am folgenden Tage, den 22. August, fuhr man an der Küste von Gippland entlang, eine der hauptsächlichsten Provinzen der Colonie Victoria. Dann schlug das Schiff eine südwestliche Richtung ein und fuhr um das Cap Wilson herum, dem äußersten Vorsprung des Continentes gegen Süden. Hier war die Küste weniger reich an Baien, Häfen und Caps.
    Mrs. Branican verließ frühzeitig ihre Cabine und nahm ihren gewohnten Platz auf dem Hinterdeck ein; Zach Fren setzte sich neben sie und bemerkte, daß sie verändert war. Sie starrte in die Ferne, war nachdenklich und antwortete kaum auf die Fragen Zach Fren’s. Die Hauptsache war, daß Dolly die eigenthümliche Aehnlichkeit Godfreys mit John vergessen habe, daß sie nicht mehr daran denke, ihn wieder zu sehen, ihn zu fragen. Es war möglich, daß sie darauf verzichtet hatte, daß ihre Gedanken eine andere Richtung eingeschlagen hatten, denn sie ersuchte Zach Fren nicht, ihr den jungen Mann herbeizurufen, der auf dem Verdeck zu thun hatte.
    Nach dem Frühstück ging sie in ihre Cajüte hinab und kam erst in der vierten Stunde des Nachmittags wieder auf das Verdeck. Jetzt fuhr das Schiff eben mit vollem Dampfe gegen die Meerenge von Basse, welche Australien von Tasmanien oder Van-Diemensland trennt, und passirte dieselbe während der Nacht.
Zweites Capitel.
Godfrey.
    Der »Brisbane« durchschnitt die Meerenge von Basse. Im August dauert der Tag in jenen Breitegraden nur bis fünf Uhr und der Mond, der hinter den Wolken verschwand, verhinderte jeden Ausblick auf die Küsten des Continentes.
    Am 23. August befand sich der »Brisbane« am Eingange der Bai von Port-Philipp, in deren Mitte die Schiffe nichts mehr von den Stürmen zu fürchten haben; aber sie müssen vorsichtig einfahren, besonders wenn die Richtung gegen die lange sandige Spitze von Nepean eingeschlagen wird. Die Bai selbst zerfällt in mehrere Häfen, wo die Schiffe ausgezeichnete Ankerplätze finden, so zu Goelong, Sandrige, Williamstown. Die beiden letzteren bilden den Hafen von Melbourne. Die Küste gewährt hier einen traurigen, monotonen Anblick, da nirgends ein grüner Platz das Auge ergötzt. Der »Brisbane« legte an einem der Quais von Williamstown an, um einen Theil seiner Passagiere auszusetzen. Da man hier einen Aufenthalt von sechsunddreißig Stunden nahm, so beschloß Mrs. Branican, diese Zeit in Melbourne zuzubringen, obwohl sie erst in Adelaïde die Expedition vorbereiten wollte und in dieser Stadt nichts zu thun hatte. Warum verließ sie den »Brisbane«? Fürchtete sie, durch zu viele Besuche belästigt zu werden? Dem hätte sie einfach dadurch ausweichen können, daß sie sich in ihre Cabine zurückzog. Wenn sie in irgend einem Hôtel abstieg, würde sie doch sicher auch sofort erkannt und von Besuchern belästigt worden sein.
    Zach Fren wußte sich diesen Entschluß nicht zu erklären. Ueberhaupt konnte er an ihr ein verändertes Wesen wahrnehmen, das sich besonders durch eine gewisse Zurückhaltung kundgab. Sollte sie die Anwesenheit Godfreys zu sehr an ihr Kind erinnert haben? Ja, und Zach Fren täuschte sich nicht. Der Anblick dieses jungen Mannes hatte sie so tief bewegt, daß sie sich nach der Einsamkeit sehnte. Wollte sie ihn fragen? Vielleicht, weil sie dies nicht am vorhergehenden Abende that, obwohl sie es gewünscht hatte. Aber wenn sie jetzt in Melbourne für diese paar Stunden aussteigen wollte, so that sie es nur, um diesen vierzehnjährigen Knaben zu fliehen, zu dem sie eine unerklärliche Macht hinzog. Warum zögerte sie, mit ihm zu sprechen, sich bei ihm nach Allem zu erkundigen, was sie interessirte, nämlich nach der Nationalität, seiner Herkunft, seiner Familie? Fürchtete sie – und das war sehr wahrscheinlich – daß seine Antworten alle die Hoffnungen zerstörten, die sie hegte und denen sie sich so hingab, daß ihre Aufregung Zach Fren auffiel?
    Mrs. Branican schiffte sich mit Zach Fren aus; sobald sie

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