Mit 50 hat man noch Träume
hatte.
Sie drehte den Hahn auf und schüttete sich einen Schwall kaltes Wasser ins Gesicht,
dann zog sie eines dieser dicken Papiertücher aus dem Spender neben dem Waschbecken,
tupfte sich ab und dehnte ihre Muskeln. Es tat gut, wieder in Köln zu sein. Es tat
gut, am Rhein entlangzujoggen, und es tat gut, wieder einmal allein ohne die Freundinnen
zu sein. Sie hatte ihren freien Tag genutzt, um hierher zu fahren und in ihrer Wohnung
nach dem Rechten zu sehen. Später würde sie in der Innenstadt noch shoppen gehen,
das Angebot in Altenahr und Umgebung war nur sehr mäßig, und sie freute sich darauf,
in den Boutiquen der Pfeilstraße auf Schnäppchenjagd zu gehen. Sie hatte immer schon
eine Schwäche für Mode und Ethnoschmuck gehabt, und obwohl sie sich in ihrem Gärtneroutfit
sehr wohl fühlte, war ihr danach zumute, sich mit einer neuen Errungenschaft zu
verwöhnen. Vielleicht fand sie ja auch ein Paar modische Gummistiefel. Und wenn
die Zeit reichte, würde sie sich auf dem Rückweg in einem großen Gartencenter noch
nach Gewächshäusern erkundigen, denn je länger sie in Altenahr lebte, desto mehr
träumte sie davon, eines Tages ein eigenes zu haben, in dem sie dann Kamelien, Zitronen-
und Orangenbäume ziehen würde.
Die Sonne
schien, Caro setzte sich auf die Terrasse des ›Kahlshof‹ und bestellte eine Apfelsaftschorle.
Das unmittelbar am Rhein gelegene Restaurant in Rodenkirchen war einigermaßen gut
besucht, doch die Menschen um sie herum vermittelten alle den Eindruck, es nicht
eilig zu haben, und so bewegte sich auch der Kellner nur äußerst gemächlich. Caro
störte es nicht, sie streckte ihr Gesicht der Sonne entgegen und genoss die wärmenden
Strahlen. Sie dachte daran, dass infolge der gestiegenen Außentemperatur vielleicht
auch das Geschäft im ›Ahrstübchen‹ heute besser lief als sonst, hielt sich aber
nicht lange bei dem Gedanken auf. Bea würde sich wie immer perfekt um alles kümmern,
sie arbeitete heute im Service, und wenn Ulrike in der Küche stand, gab es dort
auch keine Probleme. Caro sah auf die Uhr und überlegte, ob sie Manuel Ciguera,
den jungen Spanier, anrufen und sich mit ihm verabreden sollte. Der ganze Nachmittag
lag noch vor ihr und vermutlich wäre es ganz nett, ihn wiederzusehen. Andererseits. Caro verwarf die Überlegung wieder. Momentan lebte sie auch ohne Sex sehr gut, insgesamt
war ein Leben ohne Männer viel entspannter. Die Tatsache, dass sie bei dem Gedanken
an Manuel auch noch gähnen musste, gab ihr recht. Vielleicht werde ich jetzt doch
alt, dachte sie und nahm einen Schluck von ihrer Schorle. Glücklicherweise hatte
sie noch keinerlei Wechseljahresbeschwerden. In Doris Dörries TV-Serie ›Klimawechsel‹
waren Frauen in ihrem Alter entweder schwitzend, depressiv, auf der ständigen Jagd
nach Affären oder als nicht mehr belastbare Nervenbündel durchs Klimakterium getaumelt,
und sie hoffte, dass sie demnächst nicht auch zu einer Karikatur ihrer selbst werden
würde. Aber vielleicht gehörte sie ja zu denjenigen, die überhaupt keine Probleme
bekamen. Bislang jedenfalls hatte sie außer ihrer nachlassenden Lust auf Männer,
was sie sich mit einem sinkenden Testosteronspiegel erklärte, keine weiteren Veränderungen
an sich festgestellt. Grundsätzlich ärgerte es sie, dass die Zeit der Hormonumstellung
bei Frauen mit all ihren Begleiterscheinungen in der Öffentlichkeit eher totgeschwiegen
wurde, während man bei 50-jährigen Männern davon sprach, dass sie in ihren besten
Jahren seien. Mit halb geschlossenen Augen sah Caro schläfrig die Uferpromenade
entlang, auf der einige Fahrradfahrer und auch einige Spaziergänger mit ihren Hunden
unterwegs waren und überließ sich ganz ihren Gedanken und dem friedlichen Bild.
Plötzlich stutzte sie. Hatte sie sich verguckt, oder fuhr da vorn tatsächlich Lilly
auf dem Rad? Sie setzte sich auf und kniff die Augen zusammen. Es war Lilly .
Sie verspürte den Impuls, aufzuspringen und schnell im Inneren des Restaurants zu
verschwinden. Sie hatte ihr nicht erzählt, dass sie in Köln war.
Als ihre
Tochter auf Höhe der Terrasse vorbeiradelte, schaute sie nach rechts, so, als hätte
sie einen siebten Sinn. Ihre Augen wurden tellergroß, als sie ihre Mutter erkannte.
Sie bremste abrupt, stieg vom Rad und rief: »Du hier?«
Caro fiel
auf, dass ihre Stimme eher verwundert denn erfreut klang.
Sie erhob
sich, winkte und rief: »Seit einer Stunde!«
Lilly schloss
ihr Rad ab, befestigte es an einem Geländer und kam die
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