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Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge

Titel: Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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anmutig in einen Sessel sinken. Sie trug ein langes dunkelgrünes, schlichtes Strickkleid. Kaschmir, dachte Olive. Die Larkins waren die Einzigen hier in der Stadt, die Geld hatten, das sie auch ausgaben. Die Kinder waren auf eine Privatschule in Portland gegangen. Sie hatten Tennisunterricht bekommen, Musikunterricht, Schlittschuhunterricht, und im Sommer waren sie im Ferienlager gewesen. Darüber mokierte man sich, denn kein anderes Kind aus Crosby im Staat Maine wurde ins Ferienlager geschickt. Es gab Ferienlager ganz in der Nähe, voll mit Kindern aus New York, und warum sollten die Larkin-Kinder den Sommer mit ihnen verbringen? Weil die Larkins eben so waren, ganz einfach. Rogers Anzüge (erinnerte Olive sich) waren maßgeschneidert gewesen, jedenfalls hatte Louise das immer erzählt. Später war man selbstverständlich davon ausgegangen, dass sie pleite sein mussten. Aber vielleicht waren
die laufenden Kosten ja gar nicht so hoch, nachdem die Gutachter einmal alle bezahlt waren.
    Olive sah sich unauffällig um. An einer Stelle hatte die Tapete Wasserflecken, und die Wandtäfelung war ausgebleicht. Sauber war es hier, das ja, aber gepflegt ließ es sich beim besten Willen nicht nennen. Olive hatte das Haus eine Ewigkeit nicht mehr betreten - war es ein Weihnachtskaffee gewesen, zu dem sie damals eingeladen waren? Ein Christbaum in der Ecke dort drüben, brennende Kerzen, bergeweise Häppchen, Louise, die alle begrüßte. Louise hatte immer alles tipptopp haben wollen.
    »Würden Sie sich in einem anderen Haus nicht vielleicht wohler fühlen?«, fragte Olive.
    »Ich fühle mich unwohl, egal, wo ich bin«, erwiderte Louise. »Und meine Sachen packen und ernsthaft von hier weggehen - irgendwie war mir das immer zu viel.«
    »Das kann ich verstehen.«
    »Roger wohnt oben«, sagte Louise. »Und ich wohne unten.«
    »Hmm.« Olive tat sich ein bisschen schwer, mitzukommen.
    »Man arrangiert sich eben im Leben. Schließt Kompromisse.«
    Olive nickte. Was sie quälte, das war der Gedanke an die Blumen, mit denen Henry heimgekommen war. Wie sie einfach nur dagestanden hatte. Sie hatte den Strauß aufgehoben, ihn getrocknet, all die blauen Margeriten nun braun, abgeknickt.
    »Ist Christopher Ihnen eine Hilfe?«, fragte Louise. »Er war immer so ein sensibler Junge, nicht wahr?« Louise strich mit einer knochigen Hand über ihr kaschmirbedecktes Knie. »Aber Henry war natürlich auch ein netter Mann, insofern hatten Sie ja ohnehin Glück.«
    Olive gab keine Antwort. Unter der herabgelassenen Jalousie
schien ein Streifen weißen Lichts durch; es war jetzt hell draußen. Eigentlich hätte sie unten am Fluss sein sollen, aber stattdessen saß sie hier.
    »Roger ist kein netter Mann, müssen Sie wissen, und das macht sehr viel aus.«
    Olive sah wieder Louise an. »Auf mich hat er immer recht nett gewirkt.« In Wahrheit erinnerte sich Olive nur unklar an Roger; er hatte wie der Banker ausgesehen, der er auch war, und seine Anzüge hatten gut gesessen - wenn man Wert auf so etwas legte, was Olive nicht tat.
    »Er wirkt auf alle nett«, sagte Louise. »Das ist sein Modus Operandi.« Sie lachte kurz auf. »Aber de fac-to« - sie sprach die Silben überdeutlich - »schlägt sein Herz nur zweimal die Stunde.«
    Olive saß ganz still, ihre große Handtasche auf den Knien.
    »Eise-eise-kalt. Brrr … Aber danach fragt keiner, denn schuld ist ja die Mutter. Immer, immer, immer wird die Schuld nur bei der Mutter gesucht.«
    »Ja, das kann sein.«
    »Das ist so, und das wissen Sie auch. Bitte, Olive. Machen Sie es sich doch bequem.« Louise schwenkte eine dünne weiße Hand, ein Strahl vergossener Milch in dem Halblicht. Olive stellte zaghaft ihre Handtasche auf den Boden, lehnte sich zurück.
    Louise faltete die Hände und lächelte. »Christopher war ein sensibler Junge, genau wie Doyle. Das glaubt jetzt natürlich keiner mehr, aber Doyle ist der reizendste Mensch, den man sich vorstellen kann.«
    Olive nickte, drehte sich um und sah hinter sich. Neunundzwanzigmal, hatte es in den Zeitungsberichten immer wieder geheißen. Und im Fernsehen auch. Neunundzwanzigmal. Das war viel.
    »Vielleicht ist Ihnen das nicht so angenehm, wenn ich
Doyle mit Christopher vergleiche.« Ein neuerliches kleines Lachen von Louise. Ihr Ton war fast kokett.
    »Wie geht es Ihrer Tochter?«, fragte Olive und wandte Louise wieder das Gesicht zu. »Was macht sie jetzt so?«
    »Sie lebt in Boston, ihr Mann ist Anwalt. Was natürlich sehr nützlich war. Sie ist eine

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