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Mit Blindheit Geschlagen

Mit Blindheit Geschlagen

Titel: Mit Blindheit Geschlagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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sitzt im Knast. Es wäre ein Wunder, wenn sich da einer nicht rächen wollte.
    Da war es doch möglich, dass ein Flüchtling durch irgendetwas angestoßen wurde, seine Rechnung mit Griesbach erst jetzt zu begleichen, fast eineinhalb Jahrzehnte nach dem Ende der DDR. Stachelmann fand den Zeitabstand nicht abwegig; je länger er darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher schien es ihm. Das war ein klassisches Motiv, es drängte sich auf.
    Als er sich ins Bett gelegt hatte, dachte er noch lange nach. Am Morgen würde er Oppum anrufen, um ihm zu berichten von seiner Entdeckung. Sie würde die Ermittlungen in eine andere Richtung lenken, weit weg von ihm. Bis Weihnachten war der Spuk vorbei, da war er sich fast sicher.
    Am Morgen frühstückte Stachelmann wenig. Dann wählte er die Nummer von Oppums Büro. Als er der Sekretärin erklärte, dass er den Anwalt sprechen wolle, musste er sich anstrengen, die Stimme war schwach. Erst jetzt spürte er die Halsschmerzen. Oppum hatte einen Gerichtstermin, er sei erst am Nachmittag zu sprechen.
    Stachelmann wählte Annes Dienstnummer. Niemand hob ab. Dann rief er Renate Breuer an. »Sind Sie krank, Herr Stachelmann? Ihre Stimme.«
    Er fragte nach Anne.
    »Wussten Sie nicht, Herr Stachelmann, sie ist im Krankenhaus? Das Kind ist zu früh gekommen.«
    »In welchem? Seit wann?«
    »In Eppendorf. Seit gestern früh, das Krankenhaus hat hier angerufen.«
    »Und wann wird sie entlassen?«
    »Das weiß man nie bei so was.«
    Er verabschiedete sich.
    Dann überlegte er, wie der Vater aussehen mochte von Annes Kind. Was gab er weiter?
    Er blätterte einige Minuten in der Zeitung, dann legte er sich wieder hin. Er starrte an die Decke und überlegte. Es war dunkel, als er wieder aufwachte. Stachelmann fühlte sich gut, er hatte zum ersten Mal seit langem richtig geschlafen. Er schaute auf die Uhr, es war fast sieben am Abend. Ein Grund, sich zum Essen einzuladen. Auf dem Weg zum Ali Baba blies ihm der kalte Wind den Rest des Schlafs aus dem Kopf. Er lief schnell und schnaufte, als er die Kneipe erreichte. Drinnen saßen junge Leute, die meisten Studenten oder Theatermusiker. An der Wand hinter einem Tisch lehnten Instrumentenkoffer. Auf den alten Tischen brannten Kerzen. Er fand einen Platz in der Ecke neben dem Kücheneingang. Am Tisch nebenan saßen vier junge Frauen, sie unterhielten sich angeregt und beachteten ihn nicht. Er las die Speisekarte, sie war seit Jahren unverändert, obwohl er längst wusste, was er bestellen würde. Im Schummerlicht konnte man sich fast allein fühlen, aber nicht einsam. Der junge Türke, der hier jeden Tag bediente, lächelte Stachelmann freundlich zu und nahm seine Bestellung auf, Lammfleisch mit Bulgur und einen türkischen Rotwein, den er hier immer trank. Auch als er vor langer Zeit mit Anne hier war an einem Abend, an dem er mutiger hätte sein müssen. Dann läge sie jetzt nicht im Krankenhaus, mit dem Kind eines anderen. Ein winziger Schritt hatte gefehlt, aber er hatte ihn nicht getan. Niedergeschlagenheit meldete sich, aber diesmal gelang es Stachelmann, sie gleich wegzuschieben.
    Der Kellner stellte den Wein auf den Tisch. »Auf dich«, murmelte Stachelmann und dachte an Anne. Noch immer ging ein Zauber aus von ihr. Er hatte sich auch in seiner Enttäuschung gezeigt, in seiner Ablehnung und in seinem Zorn auf sich selbst. Sosehr er in den vergangenen zwei Jahren nichts mehr zu tun haben wollte mit ihr, zog sie ihn doch an. Es war fast ein physikalisches Phänomen. Er grinste. Anziehungskraft gleich Abstoßungskraft.
    Das Essen war wie immer, also gut. Als er bezahlte, spendierte der Kellner einen Schnaps, Stachelmann trank ihn in einem Zug aus. Er schlenderte nach Hause. Wie schön wäre es, Anne ginge neben ihm. Sollte er sie im Krankenhaus besuchen?
    Stachelmann kannte Geburten nur aus Filmen, da waren sie dramatisch. Die Frauen kriegten ihre Kinder in Taxis oder Restaurants, weil sie es nicht mehr rechtzeitig schafften in den Kreißsaal. Er pfiff leise vor sich hin. Aus der Geschichte mit Griesbach war er bald heraus. Schließlich lebte er in einem Rechtsstaat und war unschuldig. Dass er der Polizei die Nacht mit Ines erst verschwiegen hatte, war moralisch vertretbar.
    Im Treppenhaus erklang leise Musik. Das war neu. Er sah oder hörte kaum einen seiner Nachbarn. Der Alte oben schien nur in seiner Wohnung zu hocken, das Pärchen im Erdgeschoss war selten zu Hause, weshalb der Postbote manchmal Sendungen für sie bei Stachelmann ablieferte.

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