Mit Blindheit Geschlagen
hoch. »Ach, darum«, sagte sie.
»Ich dachte schon, Sie wollten mir eine Versicherung verkaufen. Sind Sie Journalist?«
»Nein«, sagte Stachelmann. »Ich bin Historiker.«
»Der, von dem ich in der Zeitung gelesen habe?«
»Ich fürchte, ja.«
»Und jetzt wollen Sie mich auch ermorden?« Es klang neugierig.
»Später vielleicht«, sagte Stachelmann. »Vorher hätte ich ein paar Fragen.«
»Sie sind in der Klemme.«
»Und wie.« Manchmal versteht man sich gleich mit einem Menschen. Sie hatte geschlafen, aber war hellwach im Kopf. Und sie hatte einen Witz, der auf Menschenkenntnis beruhte.
»Dann kommen Sie mal rein.« Sie trat zur Seite.
Sie führte ihn durch einen Warteraum in das Sprechzimmer. Dort setzte sie sich an ihren Schreibtisch und deutete auf zwei Stühle, die vor dem Schreibtisch standen.
»Bitte«, sagte sie.
»Ich war es nicht«, sagte Stachelmann, es war ihm gleich peinlich.
»Die meisten wollen es wohl nicht gewesen sein, jedenfalls nachdem sie erwischt wurden.«
»Ich suche den, der es war«, sagte Stachelmann.
»Und das führt Sie zu mir?«
Stachelmann fasste seine Überlegungen kurz zusammen. Sie hörte aufmerksam zu, musterte ihn aus schwarzen Augen. Er bildete sich ein, dass sie manchmal leicht nickte. An anderen Stellen runzelte sie kaum sichtbar die Stirn. Das verunsicherte ihn, sie schien zu den Menschen zu gehören, die Genauigkeit verlangten.
»Kann sein, muss aber nicht«, sagte sie, als er fertig war.
»Irgendwo muss ich anfangen.«
»Irgendwo müssen Sie anfangen. Sie tun es bei mir, welche Ehre.« Er hörte ihre Ironie. Insgeheim stimmte er ihr zu, die Geschichte war abwegig, und die Spuren, die er verfolgte, sah vielleicht nur er. Aber wenn er nicht völlig danebenlag, war nicht einmal auszuschließen, dass sie die Mörderin war, sie wohnte ja nicht weit weg von Hamburg. Er schaute sie näher an, sie hatte viel gelacht in ihrem Leben, das verrieten die Falten an Augen und Mund.
»Wenn Sie glauben, dass alle Leute, deren Flucht gescheitert ist, als Täter in Frage kommen, dann gehöre ich zu den Verdächtigen. Schicken Sie mir bloß nicht die Polizei auf den Hals. Ich habe genug Ärger mit Behörden.«
»Nicht so viel wie ich.«
»Ich kann es mir vorstellen. Waren Sie’s wirklich nicht?«
Warum kam sie zurück auf diese Frage? Selbst wenn, er würde es kaum zugeben. Er schüttelte den Kopf. »Sonst säße ich kaum hier.«
»Och, ein Ablenkungsmanöver.« Sie lächelte ihn an.
Das Telefon klingelte. Sie nahm ab, meldete sich und hörte zu. »Was hat sie gegessen?« Sie hörte wieder zu.
»Fencheltee tut es auch.«
Dann wandte sie sich wieder ihm zu. »Sie waren es also nicht.«
»Ihre Flucht ist gescheitert, warum?«
»Ich war es auch nicht. Ich kannte diesen Griesbach nicht einmal. Aber nach dem, was Sie erzählen, gehörte er zu den Schleusern, die mich in den Westen bringen wollten. Das arme Schwein, das es versucht hat, wurde im selben Prozess wie ich zu sieben Jahren verurteilt. Ich fürchte, er hat fast die gesamte Zeit abgesessen. Jedenfalls klang der Richter rachsüchtig. Staatsfeindliche Menschenhändlerbande. Die Ware wurde etwas besser behandelt, zweieinhalb Jahre, die meiste Zeit in Hoheneck, das war ein Frauenknast, wie Sie vielleicht wissen.«
»Und wie sind Sie gefasst worden?«
»Ganz unspektakulär. Ein Kurier hat mir einen BRD-Pass mit gefälschtem DDR-Visum gebracht, mit dem wollte ich über die Friedrichstraße ausreisen. Bei der Kontrolle ging es ganz schnell. ›Kommen Sie mal mit.‹ Ich wurde in ein Zimmer gebeten und dort verhaftet. Ein paar Minuten später hat es auch den Kurier erwischt.«
»Aber der hatte doch bestimmt saubere Papiere.«
»Das nehme ich an, aber sie haben ihn gekriegt. Im Prozess hat der Staatsanwalt beschrieben, wann der Mann eingereist ist, wohin er gegangen ist, wo er in die S-Bahn gestiegen ist und wann er mich getroffen hat. Die haben den erwartet.«
»Die Stasi wusste, dass er kommen würde?«
»Offensichtlich.«
»Wer hat Ihnen die Fluchthilfeorganisation vermittelt?«
»Mein Verlobter.« Sie sagte es unfreundlich. »Mein damaliger Verlobter.«
»Der hat Ihnen den Kurier geschickt?«
Sie nickte.
»Hat er auch bezahlt?«
»Mir hat niemand eine Rechnung vorgelegt.«
»Irgendwer hat Ihre Flucht verraten. Und der wusste auch, wie sie organisiert war. Ihr Verlobter?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe mit dem Herrn nichts mehr zu tun. Man kann alles Mögliche über ihn sagen, aber nicht, dass
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