Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mit Blindheit Geschlagen

Mit Blindheit Geschlagen

Titel: Mit Blindheit Geschlagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
Vom Netzwerk:
mit offenbar nachträglich aufgesetztem Spitzdach. Er öffnete bald nach dem Klingeln. Stachelmann glaubte, dass sich im Fenster neben der Tür kurz vorher ein Vorhang bewegt hatte. Pintus streckte ihm seine Hand entgegen. Er war ein Mann mit vollem weißen Haar. Er trug eine Art Hausanzug. »Sie sind gewiss Herr Dr. Stachelmann«, sagte er, bevor Stachelmann sich vorstellen konnte. Pintus führte Stachelmann ins Wohnzimmer. Was Stachelmann sah, war geschmackvoll und schien teuer gewesen zu sein. Im Wohnzimmer stand auf einem Steintisch eine Kanne mit zwei Tassen, dazu Gebäck. Pintus bot Stachelmann einen Platz an, der setzte sich in einen Ledersessel.
    »Wenn ich Ihr Anliegen richtig verstanden habe, wollen Sie etwas über meine misslungene Flucht erfahren.«
    Stachelmann nickte.
    Pintus goss Tee ein und bot Zucker, Milch und Kekse an.
    Stachelmann nahm einen Keks. »Warum wollten Sie fliehen?«
    »Ach du meine Güte«, sagte Pintus. »Da könnte ich Ihnen einen Vortrag halten. Deswegen sind Sie gewiss nicht gekommen.«
    Stachelmann überlegte, ob so jemand wie Pintus ein Mörder sein konnte. Wie sieht ein Mörder aus?
    »Ich besuche Menschen, die sich an eine bestimmte Westberliner Fluchthilfeorganisation gewandt haben.«
    Pintus nickte. »Sie werden einen Grund dafür haben.«
    »Ich bin Historiker«, sagte Stachelmann.
    »Ich hatte bisher gedacht, die Historiker seien eher ein gemütliches Völkchen, aber Sie haben es eilig.«
    »Ich gestehe, meine Interesse ist eher außerwissenschaftlich.«
    »Außerwissenschaftlich, ein interessantes Wort.«
    Das Telefon klingelte. »Entschuldigen Sie mich einen Augenblick.« Pintus verließ das Wohnzimmer.
    Stachelmann schaute sich um. An den Wänden unzählige Bücher, manche Buchrücken konnte er lesen, viel klassische Literatur, aber auch manches Moderne. Er entdeckte kein Fernsehgerät, aber eine Stereoanlage und viele CDs. Das machte ihm Pintus noch sympathischer. Gibt es sympathische Mörder?
    Die Tür öffnete sich, Pintus kehrte zurück. »Ich muss mich entschuldigen.«
    Stachelmann winkte ab. »Ich will Ihnen kurz erläutern, worin dieses außerwissenschaftliche Interesse besteht. Ein Kollege von mir an der Hamburger Universität wurde ermordet.« Er beobachtete Pintus’ Reaktion, der zog die Augenbrauen hoch, wenig nur. »Und dieser Kollege, Professor Wolf Griesbach, gehörte zu der Fluchthelfergruppe, an die Sie sich gewandt haben.«
    »Das heißt, Sie suchen einen Mörder.«
    Stachelmann nickte.
    »Ist das nicht Aufgabe der Polizei?«
    »Schon, aber die verdächtigt den Falschen.«
    Pintus schaute ihn lange an. »Sie sprechen von sich.«
    »Ja.«
    Pintus schien zu überlegen. Vielleicht dachte er, wenn dieser Stachelmann der Mörder ist, warum sollte er dann suchen? »Gut. Fragen Sie.«
    »Wie kamen Sie in Kontakt mit dieser Gruppe?«
    »Mehr zufällig, wie ja das Leben zuerst aus Zufällen besteht. Es war bei einem Kongress in Mainz. Sie wissen, dass ich Informatiker bin?«
    Stachelmann nickte.
    »Robotron schickte mich nach Mainz. Sie wissen, was Robotron war?« Ohne Stachelmanns Antwort abzuwarten, sagte er: »Das war das führende Elektronikkombinat der DDR. Wir hatten damals diesen großen Coup mit dem Zweiunddreißig-Bit-Chip gelandet, und da musste die DDR nun auch auf internationalem Parkett glänzen, vor allem in der Bundesrepublik. Ich muss Ihnen gewiss nicht erzählen, dass dieser Chip weniger auf die Forschungsanstrengungen von Wissenschaftlern zurückging als auf das Talent von Dieben. Anders gesagt, die haben einen West-Chip abgekupfert und sich nicht geschämt, das als Pioniertat der DDR-Informatiker zu preisen.«
    »Davon habe ich gelesen.«
    »Gut.«
    »Aber das erklärt nicht, warum Sie fliehen wollten.«
    »Doch, das wäre schon eine Erklärung, wenigstens eine halbe. Was die da gefeiert haben, war eine Beleidigung für uns, die Informatiker der DDR. Weil ihr diesen Chip nicht entwikkelt habt, mussten wir ihn besorgen. Aber wir loben euch dafür, weil wir glauben, die Informatiker unserer Republik müssten längst auf diesem Stand sein. Das ging ja noch weiter.
    Die waren dem Automatisierungswahn aufgesessen. Überall wurden Roboter gezählt und Weltvergleiche bemüht. Aber wir merkten natürlich, dass die Wirtschaftslenker falsch zählten. Einer sagte, die halten auch Flaschenöffner für Roboter. Du musst nur drücken, die Flasche kriegen sie von allein auf. Wir lebten in einem Land der Lügen. Das Schlimmste war, es wussten alle. Offenbar

Weitere Kostenlose Bücher