Mit deinen Augen
und dann drehen sich die Haare automatisch nach rechts.
»Natürlich kann er uns noch leiden. Er ist nur traurig. Wir sagen alle komische Sachen, wenn wir traurig sind.«
Sid schaut dauernd den Flur hinunter zu den Aufzügen, und das lenkt mich ab.
»Ich gehe jetzt«, sagt Barry, als er aus dem Zimmer kommt.
»Okay«, sage ich, aber fast hätte ich gesagt: Bist du schon fertig? Bist du dir sicher? Es geht alles viel zu schnell.
»Vielleicht komme ich wieder«, sagt er. »Ich warte ab, wie es sich anfühlt.Wenn ich spüre, da ist noch was, komme ich wieder. Aber jetzt gehe ich erst mal.«
»Okay, Barry«, sage ich.
Er umarmt zuerst mich, dann umarmt er die Mädchen. »Wir können tun, was wir wollen«, sagt er zu ihnen. »Wir können uns verhalten, wie wir wollen, aber wir dürfen nicht wütend sein. Und nicht gemein.«
Ich erkenne diese Worte wieder. Ich war gerade dabei, einen Braten zu machen, während Esther Empanadas zubereitete und nebenher Oprah sah . In der Talkshow war eine Frau zu Gast, deren Sohn getötet worden war, und diese Frau hat, gleich nach seinem Tod, genau das Gleiche zu ihrer Familie gesagt. Ich weiß noch, dass ich meine Kocherei unterbrochen habe, um mir die Frau genau anzusehen, weil sie so stark und so klug klang und weil ich ihr glaubte.
Ich habe ihr geglaubt, dass sie das zu ihrer Familie gesagt hat, aber bei Barry wirkt es einfach nicht überzeugend. Er hat so viele Ratgeber gelesen, aber in den Ratgebern geht es immer nur um Liebe, nie um den Tod. Ich vermute, dass Schmerz und Wut ihn ganz unvermittelt überfallen werden. Ungebremst. Und Worte helfen dann nichts. Es wird uns alle treffen, und wir werden nicht wissen, wie wir uns dagegen wehren sollen. Ich wollte, ich wüsste die Antwort, ich wollte, ich wüsste, wie ich mir und den Menschen um mich herum helfen kann, die alle leiden werden.
»Tja, Mädels«, sage ich. »Jetzt sind nur noch wir übrig, ihr und ich.«
»Und ihr und ich«, sagt Scottie.
»Und ich«, sagt Sid.
»Ist alles okay?«, frage ich. »Sollen wir wieder reingehen?«
Alle schauen ins Zimmer, aber niemand macht den ersten Schritt.
»So hat das keinen Sinn«, sagt Alex. »Mir kommt es vor, als würden wir sie nur anschauen. Und warten …«
»Ich weiß«, sage ich. »Ich weiß.«
Ich merke, wie Sid den Flur hinunterspäht und schon wieder die Uhrzeit und sein Handy kontrolliert.
»Erwartest du jemanden?«, frage ich.
»Nein«, antwortet er.
Ich weiß, dass er von mir enttäuscht ist. Seiner Meinung nach müsste ich mich aufraffen und auf Brian losgehen, der, wie Sid behauptet, »nicht mal auf den Tisch hauen kann - geschweige denn sonst wo drauf«. Er glaubt, wenn ich Julie von der Affäre erzählen würde, ginge es mir besser. Mich amüsiert das, aber gleichzeitig finde ich es auch schade, denn wenn irgendjemand wissen müsste, dass Rache vergeblich ist, dann ist das Sid.
»Vielleicht gehen wir noch ein bisschen an die Luft. Wollt ihr etwas essen gehen? Zum Beispiel ein Plate Lunch ?«
»Sollen wir uns so verabschieden, wie wenn’s das letzte Mal wäre?«, fragt Scottie. »Nur für den Fall des Falles.«
Ich blicke ins Zimmer. »Nein«, sage ich. »Es ist okay.Wir sind ja gleich wieder da.« Wenn wir uns ständig so verabschieden, als wäre es das letzte Mal, wird das mit der Zeit ziemlich anstrengend, deshalb gehen wir einfach. In der Hoffnung, dass sie nachher noch da ist. Und voller Angst, wir könnten uns irren.
42
Sie war noch da, als wir vom Mittagessen zurückkamen, und sie ist auch heute Morgen noch hier. Und wir sind auch hier.Wieder ein Tag in dem abgedunkelten Zimmer, mit Joanie. Warten. Ein paar Blumen sind verwelkt, der Schmetterlingsingwer und die Pikake, aber sie verbreiten immer noch einen angenehmen Duft. Joanies Fingerspitzen sind blau. Ich wüsste gern, ob die anderen das auch bemerken. Es sind jetzt fünf Tage, dass sie sich selbst überlassen ist.
Joy erscheint in der Tür. Ich freue mich, als ich sie sehe.
»Joy!«
»Mr. King. Ihre Frau hat Besuch.«
Ich habe gesehen, wie sich ein Vater wortlos von seiner Tochter verabschiedet, aber das hier ist fast noch schlimmer: Joys Befangenheit - und dass sie mir nicht einmal in die Augen sehen kann.
»Wer ist es?«, frage ich.
»Eine Frau. Ich weiß leider nicht, wie sie heißt. Darf ich sie herschicken? Oder wollen Sie lieber unter sich bleiben?«
Wer kann das sein? Alle Leute, denen ich Bescheid gesagt habe, waren hier. Ich könnte mir höchstens vorstellen, dass Shelley
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