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Mit deinen Augen

Mit deinen Augen

Titel: Mit deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaui Hart Hemmings
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Wir bestellen den Zimmerservice und schauen einen Film über den Zweiten Weltkrieg an, der scheußlich brutal ist. Überall blutverschmierte Leichen.
    »Der Regisseur zeigt uns, wie’s wirklich war«, sagt Alex, als ich mich beschwere. »Das habe ich irgendwo gelesen. Er setzt damit ein Zeichen gegen Gewalt.«
    Wir passen alle aufs Bett. Die Mädchen und ich liegen auf dem Bauch, und Sid sitzt hinter uns, ans Kopfende gelehnt.
    »Ich wüsste gern, was Moms Freund gerade macht«, sagt Alex.
    »Wahrscheinlich guckt er Pornos«, sagt Scottie.
    Sid lacht. Scotties Miene ist eine Mischung aus Unschuld und Berechnung.
    »Warum sagst du so was?«, frage ich. »Soll das lustig sein?«
    »Reinas Dad guckt Pornos.«
    »Weißt du, was ein Porno ist?«, fragt Alex.
    »Football-Höhepunkte«, sagt sie.
    Ich schaue Alex fragend an. Muss ich meine Tochter aufklären, oder kann ich sie in ihrem Irrglauben lassen?
    »Ein Porno ist ein Film über schöne Frauen und hässliche Männer, die Sex haben«, sagt Alex.
    Ich kann Scotties Gesichtsausdruck nicht deuten, weil sie nach unten schaut. »Scottie?«.
    »Das weiß ich doch«, murmelt sie. »Ich hab nur einen Witz gemacht.«
    »Nicht so schlimm, dass du’s nicht gewusst hast«, sagt Sid.
    »Aber ich hab’s doch gewusst!« Sie dreht sich zu mir. »Ich weiß, was das ist. Ich hab nur gedacht, sie heißen anders. Reina sagt immer Masturbationsfilme. Sie guckt sie sich an, wenn ihre Eltern nicht da sind, und einmal hat sie ein paar Jungs eingeladen, um zu sehen, ob sie da unten größer werden. Bei einem hat’s geklappt.«
    »Reina klingt total irre«, sagt Sid. »Sie gefällt mir immer besser.«
    »Warst du dabei?«, frage ich. »Hast du auch einen von diesen Filmen gesehen?«
    »Nein«, sagt Scottie.
    »Scottie«, sagt Alex und tritt Sid in die Rippen, »Reina ist eine blöde Zicke, und du solltest dich von ihr fernhalten. Das hab ich dir doch schon gesagt. Oder willst du, dass es dir so geht wie mir?«
    »Ja«, sagt Scottie.
    »Ich meine, wie meinem früheren Ich, als ich Mom angeschrien habe.«
    »Nein«, sagt Scottie.
    »Schön. Reina wird mal ein Junkie, und jeder kann sie haben. Sie ist’ne blöde Nutte. Sag’s.«
    »Nutte«, wiederholt Scottie. Sie steht auf, wandert durchs Zimmer und singt »Nutte, Nutte, Nutte, Nutte«.
    »Heilige Scheiße«, sagt Sid. »Ganz schön schräge Erziehungsmethoden.«
    Alex zuckt die Achseln. »Vielleicht. Wir werden ja sehen.«
    »Ich komme nicht mehr mit«, sage ich. »Ich weiß nicht weiter. Dauernd benimmt sie sich so.«
    »Das geht vorbei«, sagt Alex.
    »Wirklich? Wie ihr redet! Sogar, wenn ich dabei bin. Als hättet ihr keinerlei Respekt.«
    Die Kinder glotzen auf den Fernseher. Ich schicke sie hinaus. Ich gehe ins Bett.

    Es ist fast Mitternacht, und ich bin immer noch hellwach. Ich stehe auf, um aufs Klo zu gehen, und stelle fest, dass im Flurbadezimmer noch Licht und die Tür leicht geöffnet ist. Plötzlich bekomme ich Angst, ich könnte Alex dabei erwischen, wie sie etwas Schlimmes tut.Wie sie sich zum Beispiel auf dem Klodeckel Linien reinzieht. Ich will schon umdrehen, schleiche mich aber doch heran und riskiere einen Blick. Scottie steht vor dem Badezimmerspiegel, der die ganze Wand ausfüllt. Sie steht auf dem Waschtisch, die Füße links und rechts vom Becken. Sie nimmt eine starre Pose ein und hält sie ein paar Sekunden, dann probiert sie die nächste Pose aus. Sie modelt. Ich will etwas sagen, will sie ins Bett schicken, aber da presst sie mit den Händen ihre Brüste von der Seite zum Dekolleté, und ich möchte nicht, dass sie weiß, was ich gesehen habe. Sie schaut in den Spiegel und dann an ihrem Körper herunter, als müsste der Spiegel sich irren. Dann höre ich sie einen Dialog führen: »Warum hast du sie nie gebremst? Ich wusste nicht, wie. Du hast nichts gemerkt, du Mistkerl. Komm her.«
    Sie beugt sich zum Spiegel und küsst ihn, mit geöffneten Lippen, die Zunge leckt über die Scheibe. Sie presst die Hände gegen den Spiegel. Ich höre sie reden: »Oh, Baby. Steck dein Ding rein. Hol ein Kondom, Baby. Das leuchtende.«
    Du lieber Gott! Ich ziehe mich so leise wie möglich zurück, lehne mich an die Wand und atme tief durch. Dann packt mich die Angst, weil ich fürchte, dass sie Sid und ihre Schwester nachmacht, und ich gehe in den Hauptraum, um nachzusehen, ob Sid auf dem Klappbett liegt. Ich sehe eine Wölbung auf dem Bett und frage mich, ob es wirklich sein Körper ist oder ob er Kissen unter die Decke

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