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Mit deinen Augen

Mit deinen Augen

Titel: Mit deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaui Hart Hemmings
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Spitzenkoch. Ich habe immer Gras.«
    »Deine Eltern sind bestimmt stolz auf dich.«
    »Gut möglich.« Er schaut auf seine Knie, und ich überlege, ob ich ihn beleidigt habe.
    »Wissen sie, wo du bist?«
    »Meine Eltern?«
    »Ja, Sid. Deine Eltern.«
    »Meine Mutter hat zurzeit viel zu tun, deshalb will sie mehr oder weniger, dass ich sie nicht störe.«
    »Was arbeitet sie?«
    »Sie arbeitet an der Pforte in der Tierklinik.«
    »Unsere Katze bringen wir auch dorthin. Gibt es gerade besonders viele Probleme mit Haustieren?«
    »Nein«, sagt er. »Sie muss den Haushalt umorganisieren. Die Sachen meines Vaters sichten. Er ist vor ein paar Monaten gestorben.«
    Im ersten Moment glaube ich, dass soll ein Witz sein, so wie der Witz mit dem behinderten Bruder, aber ich sehe ihm an, dass es stimmt. Er macht das Gleiche wie ich immer, wenn die Leute über Joanie reden - er versucht zu grinsen und zieht ein Gesicht, als käme er mit der ganzen Sache zurecht. Er will nicht, dass ich mir Sorgen mache, und würde am liebsten gleich das Thema wechseln. Also tue ich für Sid, was ich mir von den anderen Leuten immer wünsche.
    »Gute Nacht, Sid«, sage ich. »Ruh dich aus. Wir sehen uns morgen.«
    Er lässt sich in die Kissen sinken. »Nettes Gespräch, Chef«, sagte er. »Bis morgen.«

29
    Am nächsten Morgen gehe ich am Strand joggen, und er kommt direkt auf mich zugelaufen und rennt an mir vorbei. Er schaut aufs Meer, und ich bin etwas höher als er, näher bei den Häusern, wo der Sand trockener und das Laufen schwieriger ist. Ich drehe um und folge ihm auf den kompakteren Sand. Ich bin aufgeregt, und irgendwie ist es mir peinlich, dass wir zur selben Zeit genau das Gleiche tun. Ich laufe und betrachte seinen Rücken, seine Waden, seinen Nacken. Auf seinem T-Shirt steht STANFORD LACROSSE, was einfach ätzend ist, und er trägt solche Sporthosen für Profis, kurz und dünn, mit langen Schlitzen an den Seiten. Bestimmt gehört er zu den Männern, die ihr Handy an den Gürtel hängen. Er rennt verdammt schnell, der Mistkerl, also lege ich einen Schritt zu. Am Strand ist wenig Betrieb: Ein paar Surfer begutachten die Dünung, dazu ein Angler, der seine Rute in den Sand steckt, ein schwarzer Hund, der im Gebüsch rumschnüffelt. Der Tag bereitet sich auf etwas Verheißungsvolles, etwas Großes vor - das diffuse Licht wird klarer, verwandelt den weißen Sand in einen Glitzerteppich; der Nebel hebt sich und enthüllt den atemberaubenden Ausblick auf das leuchtende Meer und die blaugrünen Klippen.
    Ich verlangsame mein Tempo wieder, weil ich ihm ja nicht zu nah kommen will. Ich spüre eine unglaubliche Energie in mir aufsteigen. Weil ich weiß, dass sie durch meine Wut hervorgerufen wird, versuche ich, mich zu konzentrieren und mir vor Augen zu führen, wieso ich hier bin. Ich liebe Joanie, sie liebt diesen Mann vor mir, und ich werde ihn zu ihr bringen. Er hat ein Recht darauf, sich von ihr zu verabschieden. Er hat ihr etwas gegeben, was ich ihr nicht geben konnte. Ich bin wie eine Katze, die eine Ratte zur Türschwelle schleift.
    Eine Welle schwappt ans Ufer, und er weicht aus. Ich laufe stur weiter, lasse das kalte Wasser an meinen Beinen hochspritzen. Kurz vor dem Pier verlangsamt er sein Tempo, schaut auf die Uhr und geht dann strandaufwärts.
    Ich bleibe stehen und schaue ihm nach. Eine Weile folgt er dem Strand, bis sich sein Atem beruhigt, dann geht er weiter zum Pier. Ich frage mich, ob er zu seinem Wagen auf dem Parkplatz will. Ich folge ihm. Was mache ich, wenn er in ein Auto steigt? Bin ich schon so weit? Soll ich es jetzt gleich hinter mich bringen? Doch dann kehrt er um und kommt mir entgegen. Schnell drehe ich mich zum Wasser, mache ein paar Stretchübungen und beuge mich so, dass ich ihn im Auge behalten kann. Er steuert auf eins der kleinen blauen Cottages zu, die meinem Cousin Hugh gehören. Ich wusste nicht, dass Hugh sie noch vermietet, und frage mich, ob Brian und Hugh sich kennen. Brian geht die Verandatreppe hinauf und öffnet die Gittertür. Er muss einen von uns kennen, was kein Wunder ist, da wir hier ziemlich zahlreich vertreten sind. Wie die Kakerlaken. Ich könnte Hugh fragen, ob und woher er Brian kennt. Ich könnte Informationen über diesen Herrn einholen, ehe ich losschlage. Oder ich könnte einfach blind vorpreschen.Wozu brauche ich Details? Da ist er. Ich habe ihn gefunden. Jetzt muss ich ihn mir nur noch holen.
    Ich schaue hinauf zum Hotel auf den Klippen. Ach, wenn doch meine Töchter hier

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