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Mit deinen Augen

Mit deinen Augen

Titel: Mit deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaui Hart Hemmings
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mag es, dass sie vergisst, den Salat zu waschen, und dass er deswegen immer sandig ist.«
    »Ich finde das scheußlich«, sagt Scottie.
    »Ja - nein, ich sage ja nicht, dass ich gern sandigen Salat esse, aber bei ihr erwarte ich es. Ich bin daran gewöhnt. So ist sie eben. Eure Mom.« Andere Erinnerungen tauchen auf, und ich lache wieder leise.
    »Was ist?«, fragt Scottie.
    »Ich denke an die Dinge, die wir nicht leiden konnten.«
    »Zum Beispiel?«, fragt Scottie.
    »Zum Beispiel konnten wir Leute nicht ausstehen, die ›Oh, wie lustig‹ sagen, aber nicht lachen.Wenn etwas lustig ist, soll man lachen. Oder Leute, die so Formulierungen wie ›das macht Sinn‹ verwenden. Oder Männer, die in Schönheitssalons gehen. Die fanden wir affig.« Ich könnte endlos weiterreden. Mir wird fast schwindlig bei so vielen Erinnerungen.Wie gut wir uns miteinander amüsiert haben. Wie oft wir zusammen gelacht haben. Ich dachte, ich würde ein junges Model heiraten, so wie meine Freunde ihre Sekretärin heirateten oder das Kindermädchen oder eine Asiatin, die kaum Englisch spricht. Ich würde eine Frau heiraten, die lustig und locker ist, die meine Kinder aufzieht und bei mir bleibt. Ich bin froh, dass ich mich in meiner anfänglichen Einschätzung getäuscht habe.
    »Hey, das finde ich auch«, sagt Sid. »Das mit den Männern, die in Schönheitssalons gehen.«
    »Worüber reden wir hier eigentlich?«, fragt Alex. »Das ist doch der totale Schwachsinn.«
    Das Pärchen vor uns dreht sich zu uns um.
    »Was gibt’s da zu gucken?«, ruft Alex ihnen nach.
    Ich habe keine Lust, sie zurechtzuweisen, denn sie hat recht - was gibt es da zu gucken? Ich verlangsame meinen Schritt, und Alex boxt Scottie auf den Arm.
    »Au!«, schreit Scottie.
    »Alex! Ich dachte, das hätten wir hinter uns.«
    »Box du sie zurück, Dad«, schreit Scottie.
    Alex packt Scottie im Genick.
    »Du tust mir weh«, jault Scottie.
    »Das ist ja auch der Sinn der Sache«, sagt Alex.
    Ich packe beide am Arm und ziehe sie in den Sand hinunter. Sid hält sich die Hand vor den Mund und biegt sich vor Lachen, tonlos.
    »Was liebst du an Mom?«, äfft Alex ihre Schwester nach. »Halt endlich die Klappe. Und du hör auf, sie wie ein Baby zu behandeln.«
    Ich setze mich zwischen die beiden, sage aber keinen Ton. Sid setzt sich neben Alex. »Cool bleiben,Tiger«, sagt er. Ich schaue auf die Wellen, die sich am Strand brechen. Ein paar Frauen gehen vorüber und werfen mir diese vielsagenden Blicke zu, als wäre ein Vater mit Kindern etwas ganz Besonderes. Es braucht nicht viel, damit man als Vater bewundert wird. Die Mädchen warten darauf, dass ich etwas sage, das merke ich. Aber kann ich etwas sagen, was nicht längst gesagt worden ist? Ich habe gebrüllt, ich habe vernünftig argumentiert, ich habe sogar Klapse verteilt. Nichts hat funktioniert.
    »Was liebst du an Mom, Scottie?«, frage ich Scottie und werfe Alex einen warnenden Blick zu.
    Sie überlegt. »Alles Mögliche. Sie ist nicht alt und nicht hässlich wie die meisten Mütter.«
    »Und du, Alex?«
    »Warum tun wir das?«, fragt sie. »Warum sind wir überhaupt hier?«
    »Weil wir mit den Haifischen schwimmen wollen«, sage ich. »Scottie will mit Haifischen schwimmen.«
    »Das kann man tatsächlich«, sagt Sid. »Ich hab’s im Hotel gelesen.«
    »Sie hat vor nichts Angst«, sagt Alex.
    Da irrt sie sich, und im Übrigen glaube ich, dass sie es als Feststellung meint und nicht als etwas, was sie wirklich an Joanie mag.
    »Gehen wir zurück«, sage ich.
    Ich stehe auf und klopfe mir den Sand aus den Kleidern. Ich schaue hoch zu unserem Hotel auf den Klippen, die im Sonnenuntergang rosarot schimmern. Die Reaktion der Mädchen auf das, was ich ihnen über ihre Mutter erzählt habe, ruft in mir ein Gefühl der Einsamkeit hervor. Sie werden mich nie so verstehen, wie Joanie mich versteht. Sie werden sie nie so kennen, wie ich sie kenne. Ich vermisse sie, obwohl sie vorhatte, den Rest ihres Lebens ohne mich zu verbringen. Ich sehe meine Töchter an, diese rätselhaften Wesen, und einen Moment lang ist mir fast schlecht - ich will mit diesen beiden Mädchen nicht allein auf der Welt sein. Ich bin froh, dass sie mich nicht gefragt haben, was ich an ihnen besonders liebe.

28
    Wir kehren mit leeren Händen in unser Zimmer zurück. Ich rufe im Krankenhaus an, wo man mir versichert, dass es Joanie gut geht. Ich freue mich, aber gleich wird mir bewusst, dass ›gut gehen‹ nur bedeutet, dass sie noch atmet. Sie ist nicht tot.

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