Mit deinen Augen
zu uns, legt Mrs. Speer das Handtuch um die Schultern und setzt sich neben sie. »Ich rasiere mich auch«, verkündet sie. Die Frau schaut auf Scotties Beine. »Wow«, sagt sie.
»Ich musste, weil ich von portugiesischen Galeeren angegriffen worden bin.«
Die Geschichte wollte sie ihrer Mutter erzählen. Ich bin sauer auf Scottie, dass sie so treulos ist. Sie zieht einfach weiter und lacht sich eine neue Mutter an. Ein Tag reicht ihr, um sich neu zu verlieben, aber Kinder sind so, vermute ich. Sie betrauern uns nicht so, wie wir es gern hätten.
»Und da musstest du dich rasieren?«, fragt Mrs. Speer.
»Ja. Das Gift rausrasieren.«
»Wohnen Sie in einem der Cottages?«, frage ich.
»Ja«, sagt sie, »mein Mann hat beruflich hier zu tun.Wir dachten, wir verbinden das mit einem Kurzurlaub. Er kennt den Eigentümer …«
»Hugh.«
»Ja, genau.« Sie scheint erleichtert, dass wir einen gemeinsamen Bekannten haben.
»Er ist mein Vetter«, sage ich.
»Ah, verstehe. Okay. Dann kennen Sie sicher auch meinen Mann. Brian Speer?«
Ich schaue stur geradeaus. Ich sehe Sid und Alex von der Badeinsel springen, die hin und her schaukelt. Der ältere Speer-Sohn wurde weiter hinausgetrieben. Er könnte ertrinken; er kämpft erfolglos gegen die Strömung. Soll ich ihr alles erzählen?
Ich könnte dafür sorgen, dass sie sich genauso elend fühlt wie ich, und wir könnten uns über bedeutungsvollere Dinge unterhalten als das Alter unserer Kinder. Wir könnten über die Liebe und über gebrochene Herzen reden, über Anfang und Ende.
»Nein, Ihren Mann kenne ich nicht«, sage ich.
»Oh«, sagt sie. »Ich dachte …«
»Scottie, geh und sag ihm, dass er seitwärts schwimmen muss, um wieder reinzukommen.«
Überraschenderweise gehorcht Scottie. Sie steht auf und geht zum Wasser.
Mrs. Speer hält schützend die Hand über die Augen, um nach ihrem Sohn Ausschau zu halten, und erhebt sich. »Was ist mit ihm?«
»Er schafft das. Die Strömung ist manchmal ein bisschen tückisch. Scottie hilft ihm.«
Mrs. Speer sieht mich erschrocken an. Ich verstehe. Sie will, dass ich ihr helfe. Brians Frau braucht mich, damit ich ihren Sohn rette. Ich kann das Gesicht des Jungen nicht sehen, aber ich weiß, wie er sich fühlt. Er ist frustriert und verärgert, er hat Angst und kann es gleichzeitig nicht glauben, dass er nicht vorwärtskommt. Er lebt. Er hat nur einen ganz simplen Wunsch: Holt mich rein, holt mich rein, holt mich zurück zum Strand.
Holt Brian her, holt Brian her, holt Brian an den Strand.
Ich will nicht ins Wasser. »Ich hole ihn«, sage ich.
»Danke«, sagt Brians Frau, »das ist sehr lieb von Ihnen.«
31
Ich gehe mit den Kindern im Tiki’s essen. Das Restaurant ist dunkel, an den Wänden hängen geflochtene Matten. Man denkt immer, es sei geschlossen, und es gibt auch keine festen Öffnungszeiten. Die Bar und die Tische sind mit Raffiabast dekoriert, in dem Stücke von Kokosnussschalen hängen. Es dauert eine Ewigkeit, bis man bedient wird, und die Kellnerinnen benehmen sich immer so, als wäre man ihnen lästig. Das Essen ist fettig und nicht besonders liebevoll zubereitet; bei der Bestellung sind nähere Angaben (gebacken, gegrillt, sautiert) völlig überflüssig, weil es egal ist, wie man sich seinen Fisch wünscht: Er ist immer misshandelt.Tiki’s ist mein Lieblingsrestaurant auf Kauai. Mein Vater ist oft mit mir hierhergekommen. Manchmal setzte er sich nach dem Essen an die schäbige Bar, während ich an unserem Tisch blieb, dem Ukulele-Club zuhörte und auf die Papiertischdecke kritzelte. Inzwischen gibt es keine Tischdecken mehr, nur Holz, und Kinder, deren Väter an der Bar hocken, ritzen mit dem Steakmesser Mitteilungen in den Tisch.
Der Ukulele-Club trifft sich immer noch hier zum Proben. Auch heute Abend: alte Hawaiianer, die Zigaretten rauchen und zwischen ihren Jam Sessions gekochte Erdnüsse knabbern. Es ist schön, mit den Kids in eine Kneipe zu gehen, die ich so gut kenne, aber ich habe das Tiki’s auch deswegen ausgewählt, weil ich weiß, dass Hugh jeden Abend hierherkommt, um sich vor dem Essen einen Cocktail zu genehmigen. Ich will ihn nach seinen Hausgästen fragen.Tatsächlich sitzt er an der Bar, und ich sage den Mädchen und Sid, sie sollen schon mal Platz nehmen. Sid zieht für Scottie einen Stuhl vor, sie setzt sich hin, blickt zu ihm hoch, und er schiebt sie an den Tisch.
»Wo gehst du hin?«, will Alex wissen.
»Ich möchte kurz unseren Cousin begrüßen.«
Alex schaut zur Bar.
Weitere Kostenlose Bücher