Mit deinen Augen
los!
Mrs. Speer schwimmt auf dem Rücken, ihre langen Arme drehen sich wie Windmühlenflügel, und das Wasser tropft von ihren Fingerspitzen. Unten produzieren die Füße winzige Spritzer. Dass sie den Hut aufbehalten hat, wirkt albern und charmant zugleich.
»Die ist für dich, Mom«, sagt der jüngere Sohn.
Sie schaut auf die anrollende kleine Welle und schwimmt im Bruststil in Richtung Strand.
»Schneller!«, ruft der Junge.
Scottie versucht, die Welle ebenfalls zu erreichen, den Blick fest auf die Frau gerichtet. Diese sieht Scottie und schwimmt schneller, um aufzuschließen. Die Welle gewinnt an Höhe und wird bald ihren Scheitelpunkt erreichen. Ich bekomme Angst, nicht um Scottie, weil ich weiß, sie kann das, sondern um die Frau, die so zerbrechlich scheint - wie etwas, das man ganz oben ins Regal stellt und mit einem weichen Spotlight anstrahlt. Während sie schwimmt, schaut sie sich um und grinst, bis es ihr beim Anblick der Welle den Atem verschlägt. Dann bricht die Welle, und sie ist verschwunden.
Ich nehme die nächste Welle landwärts. Scottie und die Frau wurden an den Strand gespült. Scottie ist schon wieder auf den Beinen, aber die Frau liegt seitlich im Sand, die langen Haare über dem Gesicht, ein Träger ist auf den Arm gerutscht, und das Unterteil ist so hochgezogen, dass man ihren Hintern sieht.
Ich renne los, aber unterwegs fällt mir ein, dass manche Frauen, beispielsweise meine eigene, sich nicht gern von Männern helfen lassen. Ich tue so, als würde ich mir um Scottie Sorgen machen, und frage die Frau lachend: »Alles in Ordnung?«
Die nächste Welle kommt, packt sie und schleift sie auf dem Rückweg den Strand hinunter; die Brandung hat sie erwischt, und sie scheint nicht herauszukommen. Ich sehe mich nach ihren Söhnen um, die hysterisch lachen. Ich gehe zu ihr und ziehe sie hoch. Um sich abzustützen, legt sie mir die Hände auf die Schultern, nimmt sie aber schnell wieder weg. Ihre Hände auf mir sind das Seltsamste, das Wärmste, was ich seit Monaten, ja, vielleicht seit Jahren gefühlt habe. Ich kann sie noch immer spüren. Ich frage mich, ob ich sie immer und ewig spüren werde, wie ein Brandmal in der Haut. Es liegt nicht unbedingt an ihr, sondern einfach daran, dass mich eine Frau berührt hat.
»Mein Gott«, sagt sie. »Ich fühle mich, als käme ich direkt aus der Autowaschanlage.«
Ich lache, das heißt, ich zwinge mich zu lachen, weil ich normalerweise über so etwas nicht lachen würde.
»Was ist mit dir?«, fragt sie Scottie. »Hast du’s gut überstanden?«
»Ich bin ein Junge«, sagt Scottie. »Das sieht man doch.«
Unten in ihrem Badeanzug hat sich Sand angesammelt und bildet eine dicke Beule. Sie kratzt daran. »Ich gehe jetzt zur Arbeit«, sagt sie. Ich glaube, sie ahmt mich nach. Und Mrs. Speer bekommt einen falschen, peinlichen Eindruck.
»Scottie«, sage ich, »hol das raus.«
»Es macht sicher Spaß, Töchter zu haben«, sagt Mrs. Speer.
Sie schaut aufs Meer hinaus, und ich merke, dass sie Alex beobachtet, die sich auf dem Floß sonnt. Sid beugt sich über sie und drückt seinen Mund auf ihren. Sie legt die Hand auf seinen Kopf, und einen Augenblick lang vergesse ich, dass das Mädchen da draußen meine Tochter ist, und überlege nur, wie lang es her ist, dass ich so geküsst worden bin oder dass ich so geküsst habe.
»Oder man hat alle Hände voll zu tun«, sagt Mrs. Speer.
»Nein, nein«, sage ich, »es ist wunderbar.« Und das stimmt auch, glaube ich, obwohl es mir vorkommt, als hätte ich die beiden gerade erst bekommen und könnte alles noch nicht so recht beurteilen. »Die beiden sind schon eine Ewigkeit zusammen.« Ich zeige auf Alex und Sid. Ich habe keine Ahnung, ob sie ein Paar sind oder ob sich alle Highschoolkids heute so aufführen.
Mrs. Speer sieht mich an, als wollte sie etwas sagen, aber sie sagt nichts.
»Und Ihre Jungs.« Ich zeige auf ihre zwei Schwachköpfe. »Die halten Sie bestimmt auf Trab.«
»Ja, sie sind anstrengend. Aber sie sind in so einem spannenden Alter. Sie machen mir viel Freude.«
Sie schaut zu ihren Söhnen. Aber ihr Gesichtsausdruck überzeugt mich nicht davon, dass sie viel Freude an den beiden hat. Ich frage mich, wie oft Eltern solche dämlichen Unterhaltungen führen und wie viel sie immer verstecken müssen. Sie sind so überdreht, dass ich ihnen am liebsten mit der Pferdespritze ein Beruhigungsmittel reinpumpen würde. Sie wollen dauernd, dass ich mir anschaue, was sie alles können, aber im Grund
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