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Mit dem Teufel im Bunde

Mit dem Teufel im Bunde

Titel: Mit dem Teufel im Bunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Madam. Oder eine Nacht darüber schlafen?» Sie betrachtete den Jungen mit trotzigem Wohlwollen, bevor sie entschieden fortfuhr: «Er ist kräftiger, als er scheint, und Ihr braucht jemand für die kleinen schmutzigen Arbeiten, für Botendienste und derlei. Der Winter steht vor der Tür, denkt nur an die Öfen, die müssen befeuert und von der Asche befreit werden, Kohle, Holz und Torf herbeigeschafft und   … ach bitte, Madam Vinstedt (nun kam Variante B zum Einsatz), habt ein Herz. Er ist ein guter Junge, und das Waisenhaus – natürlich gibt man sich alle Mühe, aber dort sind zu viele Kinder, das wisst Ihr so gut wie ich. Sie werden ständig krank, und das Essen – dazu muss ich nichts sagen. Dass er die Jahre so munter überstanden hat, zeigt nur, wie zäh und kräftig er ist.» Wieder seufzte sie schwer. Vieles würde sie aus ihrer eigenen Kindheit nicht vergessen, das Waisenhausessen gehörte unbedingt dazu, noch mehr die vielen Kranken. «Tobi ist noch gesund», fuhr sie hastig fort, «er hat einen hellen Kopf und ist anstellig. Ganz ungemein anstellig. Er kann halbwegs lesen und schreiben, nur mit dem Rechnen hapert es noch. Dafür kennt er den Katechismus fast auswendig, und Kirchenliederund – ja, und dass Madam van Keupen ihn schon nach einer Woche wieder fortgeschickt hat, war nur Pech. Ach was, pure Ungerechtigkeit. Es ist   …»
    «Halt, Mamsell Elsbeth, halt!»
    In Madam Vinstedts tiefblauen Augen blitzte es vergnügt. Da stand sie in ihrer Diele, blickte auf einen Jungen mit den schmutzigsten Knien an den dünnsten Beinen hinunter, die sie seit langem gesehen hatte, hörte, wie die Köchin ihrer besten Freundin ihn anpries wie einen zu trocken geratenen Kuchen, und hatte keinen Moment das Gefühl, dass das ihr passierte. Die Situation erschien unwirklich, diesmal zum Glück wie in einer Komödie.
    «Ich weiß, Ihr bringt mir niemand, den Ihr für faul und liederlich haltet», sagte sie, um Ernst bemüht. «Aber gewiss erinnert Ihr Euch: Als Ihr mir antrugt, ein Waisenkind in unseren Haushalt aufzunehmen, sagte ich ‹vielleicht› und ‹keinesfalls vor dem nächsten Frühjahr›. Bis dahin sind es noch sechs Monate. Ein halbes Jahr. Und soviel ich weiß, werden die Kinder erst nach der Konfirmation in Kost gegeben. Ihr wollt mir doch nicht weismachen, dieser Knirps sei schon konfirmiert.»
    «Nein, darauf muss er noch einige Jahre warten. Das Waisenhaus ist so überfüllt, da können diese alten Regeln nicht gelten. Wenn jemand eines der jüngeren Kinder in Kost nimmt, sind die Provisoren froh.»
    Madam Vinstedt nickte. Sie hatte von den Zuständen im Waisenhaus gehört, jeder in der Stadt wusste darum. In anderen Städten, auch in etlichen, die sie während der vergangenen Jahre auf ihren langen Reisen durch das Land gesehen hatte, ging es noch trauriger zu. Alle Kinder sollten gut ernährt und reinlich gekleidet, christlich erzogen und zudem unterrichtet und ausgebildet werden, damit sie später in allen bürgerlichen Ehren ihr Brot selbst verdienen konnten– die Mädchen als Dienstmagd, Weberin oder Näherin, die Jungen als Handwerker oder Knecht. Besonders talentierte Jungen sollten ein Stipendium für die Lateinschule bekommen. Bei einem zu knapp bemessenen Budget und viel zu engem Raum blieb das weitgehend eine schöne Theorie.
    Sie konnte den kleinen Rotschopf nicht dorthin zurückschicken. Die Läuse würde sie schon in den Griff bekommen. Selbst die Krätze, falls sich in der Haut unter seiner Kleidung welche versteckte. Das musste der Grund sein, warum er seine Hände so beharrlich in den Taschen seiner Joppe behielt. Es schreckte sie nicht, sie wusste schon, wer ihr helfen würde, Tobi von der juckenden Qual zu befreien. Plötzlich fühlte sie sich ganz leicht. Sie würde ihn aufnehmen, und es war ihr eine Freude. Dann würde es mit der Stille in der Wohnung vorbei sein, sie konnte ihn neben der Schule selbst unterrichten, ihm sogar Manieren beibringen. Oder kleine Szenen, vielleicht sang er gern.
    Nur eines musste noch erklärt werden: «Satt würden wir dich sicher bekommen, Tobias. Aber was hat es mit der ‹puren Ungerechtigkeit› auf sich? Was ist bei Madam van Keupen geschehen?»
    Sie sah den Jungen streng an und bedeutete Elsbeth mit einer Handbewegung zu schweigen.
    Tobias schluckte. Sein linkes Auge rollte noch ein wenig mehr in die Ecke, doch das schien vielleicht nur so. Er schluckte noch einmal, straffte den Rücken, stemmte die Beine in den Boden, wie ein kleiner,

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