Mit dem Teufel im Bunde
zum Rapport bestellter Soldat, und sagte: «Ja. Ungerechtigkeit. Die dicke Madam hat gesagt, ich hätt geklaut, ich mein die Dicke, die bei Madam van Keupen zu Besuch war. Die Keupen ist ja nich fett. Deshalb hat sie mich weggeschickt, die Keupen.»
Elsbeth entfuhr ein resignierter Seufzer.
«Wusstet Ihr das?» Madam Vinstedts Stimme klang gar nicht mehr amüsiert.
«Natürlich. Ich hätte es schon noch erzählt. Es war eine falsche Anschuldigung. Ihr kennt doch die Schwarzbachin. Sie war an dem Tag bei Madam van Keupen zu Gast, und tatsächlich war ihr Spitz der Dieb.»
«Madam Schwarzbachs Hund?»
«Ja», übernahm Tobias wieder die Erklärung. «Eigentlich.»
An jenem verhängnisvollen Tag hatte die van Keupen’sche Köchin versäumt, die Küchentür zu schließen, und Antoinette hatte die Gelegenheit genutzt. Antoinette war nicht die Köchin, sondern der Spitz. Madam Schwarzbach verehrte Marie-Antoinette, Tochter der großen Kaiserin Maria Theresia und seit zwei Jahren französische Kronprinzessin, die für ihre Zartheit und ihre Vorliebe für teure Pralinees bekannt war. Auf den Spitz traf nur Letzteres zu, was man unter seinem dicken Fell jedoch kaum erkannte, und womöglich barg sein feister Körper eine zarte Seele. Mit seiner spitzen kleinen Nase hatte er sofort den Duft der gebratenen Wachteln erschnuppert, die das Küchenmädchen vom Spieß gezogen und auf eine Platte gelegt hatte. Er war in die Küche gesaust, mit erstaunlicher Behändigkeit auf einen Hocker gesprungen, weiter auf den Tisch und hatte sich eine der krossgebratenen Wachteln geschnappt. Tobias war es gerade noch gelungen, dem gefräßigen Tier einen Brocken der Beute aus dem Maul zu zerren, mit der anderen Hälfte war Antoinette die Stufen zur Diele hinaufgesaust und, trotz des vollen Mauls erbost knurrend, unter dem Schrank verschwunden.
In diesen mächtigen alten Schränken, wie sie in den meisten Hamburger Kaufmannsdielen standen, konnte man einen veritablen Ackergaul verstecken, ein kleinerHund, selbst mit dickem Fell und mit einer halben Wachtel im tropfenden Maul, fand darunter leicht Platz.
Madam Vinstedts Grinsen war nicht gerade damenhaft, dafür war Elsbeths Gesicht nun reine Empörung.
«Und dann hat die van Keupen ihre Wachteln gezählt und behauptet, Tobias hätte die fehlende gestohlen. Das ist doch ein Witz, oder? Dabei hat das Küchenmädchen die Sache mit dem Hund gleich erzählt, aber für so was, hat die Schwarzbachin gezetert, sei ihre Antoinette viel zu manierlich.»
«Na ja», sagte Tobias mit piepsiger Stimme mitten in Elsbeths Gerechtigkeitsausbruch, «kann sein, die Madam hatte doch recht. ’n bisschen.» Der Blick, mit dem er die junge Frau ansah, von der er längst beschlossen hatte, dass sie seine neue Herrin wurde, hätte ein Herz aus Granit erweicht. «Weil ich nämlich ganz schrecklichen Hunger hatte, und da, ja, da hab ich das Stück gegessen, das ich dem fetten Köter abgejagt hab, war nur ’n winziges Wachtelbein.» Er senkte den Kopf und faltete unterm Kinn demütig die Hände, die seine Knie an Schmutz noch um Längen schlugen. «Das war ganz schlecht von mir, ganz schlecht. Ja. Aber ich hatte so schrecklichen Hunger, und die Madam hätt es weggeworfen, die essen da nichts, was auf’m Boden lag oder in ’nem Hundemaul war. Eigentlich bin ich doch ein Dieb. Oder?»
Er hätte jetzt gerne ein bisschen geweint, doch das musste er noch üben.
‹Eigentlich›, dachte Madam Vinstedt und war nicht sicher, ob sie sich amüsieren oder ärgern sollte, ‹bist du ein ziemlich mittelmäßiger Komödiant.›
Sie beschloss, das Spiel mitzuspielen. Sie kannte sich mit Situationen aus, die genau das erforderten, was dieses Kind tat: Es kämpfte mit den Mitteln, die ihm zur Verfügungstanden, um ein besseres Leben. Vor allem aber erinnerte der Junge sie an einen anderen, den sie sehr vermisste. Womöglich lag es nur an seinem widerspenstigen Haarschopf, an seiner Vorstellung konnte es nicht liegen, denn der andere Junge – nun schon ein junger Mann – war stumm.
«Also doch ein Dieb», sagte sie streng. «Nun gut: ein halber Dieb. Was machen wir da, Mamsell Elsbeth? Ach, ich weiß die richtige Strafe. Wir werden dich baden, Tobias, nicht nur waschen, sondern baden. Ganz und gar, mit Seife und einer großen Bürste. Wenn du hier leben willst, muss das sein. Und glaube nicht, dass du um den Unterricht herumkommst. Dafür wird immer Zeit sein. Spätestens im nächsten Sommer kannst du richtig lesen und
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